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Institut für Menschenrechte

„Ausbeutung ist ein risikoloses Geschäft“

Istock/PeopleImages

Zum dritten Mal stellt das Deutsche Institut für Menschenrechte seinen jährlichen Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland vor. Ein Schwerpunkt bildet die Situation von Migranten und Migrantinnen, die von ihren Arbeitgebern ausgebeutet werden. Weiterhin wird untersucht, wie Rüstungsexporte zu Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten beitragen.

"Menschenrechte müssen immer wieder errungen und bekräftigt werden. Sie erscheinen zwar heute selbstverständlich, in der Lebenswirklichkeit vieler Menschen sind sie es jedoch keineswegs, auch hierzulande", sagte die Direktorin des Instituts, Beate Rudolf.

"Die Qualität des Menschenrechtsschutzes in einem Staat misst sich gerade daran, ob die Rechte der Schwächsten in Gesetzen verankert und auch in der Praxis geachtet und geschützt werden. Daher greift der Menschenrechtsbericht schwere Beeinträchtigungen der Rechte von Menschen auf, die sich im politischen Diskurs hierzulande nur schwer Gehör verschaffen können", so Rudolf weiter. Der Bericht umfasst den Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018.

Ausbeutung von Arbeitsmigranten – kaum Möglichkeiten, den Lohn einzuklagen

Das Menschenrechtsinstitut hat die Situation von Migranten und Migrantinnen untersucht, die von ihren Arbeitgebern ausgebeutet wurden. Interviews mit Betroffenen aus EU-Ländern und Drittstaaten wie Pakistan, Palästina, Syrien, Argentinien, Ecuador oder Peru machen deutlich: Viele erhalten weit weniger als den Mindestlohn, oder der Lohn wird ihnen gänzlich vorenthalten. Zudem führen Arbeitgeber häufig keine Sozialabgaben ab. Unbezahlte Überstunden sind an der Tagesordnung, oft sind die Beschäftigten mit Drohungen und Gewalt konfrontiert. "Schwere Arbeitsausbeutung ist aktuell ein risikoloses Geschäft. Diese Menschen haben faktisch kaum eine Möglichkeit, ihre Lohnansprüche gerichtlich durchzusetzen", bemängelte Rudolf.

Sie befinden sich in einem Teufelskreis: Durch die äußerst prekären Lebensumstände sind sie von Obdachlosigkeit bedroht und gezwungen, immer wieder schlechte Jobs ohne Absicherung anzunehmen. Fälle von schwerer Arbeitsausbeutung sind aus vielen Branchen, beispielweise der fleischverarbeitenden Industrie, dem Transportwesen oder der häuslichen Pflege bekannt. Fehlende Sprach- und Rechtskenntnis, Abhängigkeit vom Arbeitgeber, fehlende Beweismittel sowie ein erschwerter Zugang zu Beratung führen zu einer strukturellen Unterlegenheit der Betroffenen gegenüber ihren Arbeitgebern, die derzeit in den arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht behoben werden kann.

Rudolf forderte deshalb ein Gesamtkonzept, um die Unterlegenheit der Betroffenen abzubauen. "Die Diskussion und Entwicklung eines solchen Gesamtkonzeptes könnte zum Beispiel die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung vorantreiben", sagte Rudolf. Ziel müsse es sein, die Durchsetzung von Lohnansprüchen für die Betroffenen zu erleichtern. Dazu müsse ein Bündel von Maßnahmen geschnürt werden, zum Beispiel die Verbandsklagemöglichkeiten gegen ausbeuterische Arbeitgeber, stellvertretende Klagen und bessere Möglichkeiten für Betroffene, prozessrelevante Daten von Kontrollbehörden zu bekommen.

Vermeidung von Zwang in der Psychiatrie

Der Bericht thematisiert außerdem Zwang in der allgemeinen Psychiatrie für Erwachsene. "Maßnahmen wie die Unterbringung in Einrichtungen, zwangsweise Fesselung ans Bett oder Sedierung durch Medikamente sind massive Eingriffe in die körperliche und seelische Unversehrtheit sowie die Selbstbestimmung von Menschen mit psycho-sozialen Behinderungen. Die Grund- und Menschenrechte gebieten es, die Anwendung von Zwang in der gesundheitlichen Versorgung zu vermeiden und auf andere Formen der Hilfe und Unterstützung zu setzen", erklärte Rudolf. "Das ganze System der Psychiatrie muss darauf ausgerichtet sein, ohne Zwang zu arbeiten, um die Selbstbestimmung der Patienten zu wahren", sagte Rudolf auch mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2018.

Das Menschenrechtsinstitut hat für den Bericht zusammengefasst, welche rechtlichen Grundlagen es für Zwangsmaßnahmen in Bund und Ländern derzeit gibt und wie diese im Licht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu bewerten sind. Es analysiert auch, welche Daten zur Anwendung von Zwang in psychiatrischen Einrichtungen vorliegen. Der Bericht stellt gute strukturell ausgerichtete Ansätze vor, wie Zwang in der Psychiatrie vermieden werden kann: zum Beispiel durch ein dichtes Netz ambulanter sozial-psychiatrischer Angebote außerhalb von Kliniken.

"Wir fordern Bund und Länder auf, künftig das verbindliche Ziel vorzugeben, Zwang in der allgemeinen Psychiatrie zu vermeiden. Es geht jetzt darum, die Kompetenz der Zwangsvermeidung im Gesundheitssystem aufzubauen", erklärte Rudolf. Bund und Länder sollten die verbesserte Versorgung psychisch kranker Menschen mit Nachdruck vorantreiben, wie dies seitens der Bundesregierung bereits im Koalitionsvertrag angelegt sei, so Rudolf weiter. "Wir brauchen mehr Daten zur Anwendung von Zwang, Fort- und Weiterbildung des medizinischen Personals sowie die Förderung des Konzepts der unterstützten Entscheidungsfindung in der alltäglichen ambulanten und klinischen Praxis. Entsprechend müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen gestaltet werden", betonte Rudolf.

Rüstungsexporte auf dem Prüfstand

Das Menschenrechtsinstitut hat sich zudem mit dem Thema Rüstungsexportkontrolle beschäftigt. "Deutschland darf sich nicht an Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten beteiligen", sagte Rudolf zur Begründung.

Das Institut hat untersucht, ob zwischen 2015 und 2017 die Politischen Grundsätze für Rüstungsexporte bei den deutschen Genehmigungsverfahren nach Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angewandt worden sind. Diese Grundsätze der Bundesregierung formulieren eine Reihe von Prüfanforderungen, darunter die Menschenrechtslage und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch die Empfängerländer der Waffen.

"Wir haben festgestellt, dass die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch beide Länder bei den Genehmigungen von Rüstungsexporten offenbar keine Rolle gespielt haben", erklärte Rudolf. Das zeige die Auswertung zahlreicher wissenschaftlicher Studien und Berichte von UN-Menschenrechtsgremien sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Das Menschenrechtsinstitut spricht sich für ein Rüstungsexportgesetz aus, das die völkerrechtlichen- und menschenrechtlichen Genehmigungskriterien gesetzlich verankert. Damit verbundene Reformen sollten auch das Unterlaufen der deutschen Genehmigungsstandards durch Tochterunternehmen im Ausland verhindern. "Die Bundesregierung sollte ihre menschenrechtlichen Bewertungen gegenüber dem Deutschen Bundestag begründen müssen", schlägt Rudolf vor.

"Deutschland sollte sich im EU-Kontext dafür einsetzen, dass Verstöße der Mitgliedstaaten gegen die EU-Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern konsequent beobachtet und sanktioniert werden – denn Rüstungsexporte sind ein globales Geschäft und können nur transnational wirksam reguliert werden", betonte Rudolf.

Deutsches Institut für Menschenrechte

Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands (§ 1 DIMR-Gesetz). Es ist gemäß den Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen akkreditiert (A-Status). Zu den Aufgaben des Instituts gehören Politikberatung, Menschenrechtsbildung, Information und Dokumentation, anwendungsorientierte Forschung zu menschenrechtlichen Themen sowie die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. Es wird vom Deutschen Bundestag finanziert. Das Institut ist zudem mit dem Monitoring der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention betraut worden und hat hierfür entsprechende Monitoring-Stellen eingerichtet.

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