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Frauenmahl in Hungen

Genuss ist eine Form der Achtsamkeit

StenderFrauen an Tischen mit ZeltVorfreude auf das Frauenmahl

„Was nährt mich?“ Auf diese Frage bekamen die rund 40 Frauen im Hungener Kirchgarten Antworten von fünf ganz unterschiedlichen Rednerinnen. Die Fachstelle Gesellschaftliche Verantwortung und Bildung in den evangelischen Dekanaten im Gießener Land, die Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau und das Stadtmarketing Hungen hatten zum zweiten Frauenmahl in Hungen eingeladen.

Bildergalerie

Annegret Schadeck - Frau in türkisfarbenem Oberteil mit kurzen, grauen Haaren Dr. Ursula Chávez Zander - Fru mit schwarzen Haaren Dr. Kristina Hänel - Frau mit lila Pulli Pfarrerin und Dekanin i.R. Barbara Alt - Frau mit grauen Haarn und roter Jacke Pfarrerin Ursula Wendt - Frau mit Brille Verkleidete Frau in grau-brauner Kleidung Dr. Julia Marterer-Stingl - Frau mit aufgesteckten Haaren Luise Böttcher - Frau mit Schmetterlingsbluse Marlena Zeidler - junge Frau am Piano

Wie wichtig Essen und Trinken im Hause des Reformators waren, erfuhren die an langen Tafeln unter der großen Eiche im Kirchgarten sitzenden Frauen von dessen Frau Katharina von Bora. Doris Wirkner, Referentin für Gesellschaftliche Verantwortung und Bildung der evangelischen Kirche in der Region, trat zeitgenössisch kostümiert als „Lutherin“ auf. Sie berichtete nicht nur von ihren zahlreichen Aufgaben im großen Haushalt in Wittenberg und den Essensgewohnheiten dort, sondern auch von ihrer Abneigung gegen Hering - eine Folge ihrer Flucht aus dem Kloster, die ihr in jungen Jahren in einem leeren Heringsfass gelungen war.

Erster Gang: Hering und Annegret Schadeck

Ausgerechnet dieser Hering lag als erster von fünf Gängen auf den Tellern der Gäste. Mitarbeiterinnen des Restaurants „Sterntaler“, wo das Menu nach Rezepten im Geiste der Katharina Luther zubereitet worden war, servierten das Essen an die liebevoll dekorierten Tische. 

Die Herausforderungen der Nahrungsmittelproduktion, mit denen ein landwirtschaftlicher Betrieb am Rand der Wetterau heutzutage konfrontiert ist, schilderte Annegret Schadeck in ihrer Rede mit dem Titel: „Vom Acker auf den Tisch? Von der Selbstversorgung zur Direktvermarktung“. Ihre Familie bewirtschaftet nicht nur einen 95 Hektar großen Betrieb, sondern betreibt auch noch einen Hofladen, in dem die eigenen und regionale Produkte verkauft werden. Von ihr erfuhren die Frauen, wie flexibel die bäuerliche Landwirtschaft auf Entwicklungen bei Preisen und Gesetzgebung reagieren muss, um den Landwirten und ihren Familien ein Auskommen zu gestatten. Wenn auch die Begriffe „saisonal“ und „regional“ heute immer geläufiger würden, falle es vielen Verbrauchern doch schwer, ihr Einkaufsverhalten danach zu richten. Erdbeeren gebe es im April in unseren Breiten eben noch nicht und Äpfel nicht mehr.

Zweiter Gang: Graupensuppe und Dr. Ursula Chávez Zander

Wer saisonal und regional, darüber hinaus Bioqualität und möglichst wenig Fleisch konsumiert, der, so die Ökotrophologin Dr. Ursula Chávez Zander, kann satt werden und dabei das Klima schützen. An vielen Beispielen stellte die Ernährungsexpertin dar, wie der hohe und weiter steigende Fleischkonsum in weiten Teilen der Welt die Natur bedroht und zur Erderwärmung beiträgt. Um diesen Trend zu stoppen, müssten die Industrieländer ihren Fleischkonsum halbieren. Die Ergebnisse einer Umfrage unter jungen Menschen stimmten sie jedoch optimistisch. Getrieben von den Aktionen von „Fridays for Future“ finde in dieser Altersgruppe pflanzenbasiertes Essen immer mehr Zuspruch. Sie regte an, seltener Fleisch auf den Tisch zu bringen, auch selbst Gemüse zu produzieren und „Genuss als eine Form der Achtsamkeit“ zu interpretieren.

Dritter Gang: Schweinebraten oder Linsenbratlinge und Dr. Kristina Hänel

Ihr Garten, der Pferdehof, die Klezmer-Musik und ihr Marathonlauf sind kurz gefasst die Dinge, aus denen Dr. Kristina Hänel die Energie für ihre Arbeit und ihr Engagement zieht. Und das gilt ungewollt schwangeren Frauen ebenso wie von sexuellem Missbrauch traumatisierten Kindern. Sitzen und reden sind nicht ihre Art, ihre Aufgaben anzugehen. Eine Herausforderung erkennen, ins Tun kommen und durchhalten – das beschreibt es besser. Durchgehalten hat sie bis jetzt in der Auseinandersetzung um das Recht von Frauen auf Informationen über Abtreibungen. Dabei unterstützt haben sie auch die Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau, die die Gießener Ärztin mit dem Katharina-Zell-Preis ausgezeichnet haben. Für diese Unterstützung dankte sie dem Frauenverband ausdrücklich. Auch das gebe ihr Kraft, weiterzumachen: „Ich will ja, dass Kinder geliebt und gewünscht auf die Welt kommen.“

Vierter Gang: Sauerkirschmus und Barbara Alt

Auch nach ihrer Pensionierung Anfang des Jahres engagiert sich Pfarrerin Barbara Alt, die ehemalige Dekanin des Dekanats Hungen, weiter für die Tafelarbeit. Vor 15 Jahren ergriff sie die Initiative zur Gründung der Hungener Tafel und leitete sie bis zur Übernahme durch die Diakonie im Jahr 2020. Sie zeichnete ein Bild von dem Überfluss und der Überproduktion im Lebensmittelbereich: Während in ihrer Kindheit kurz vor Ladenschluss von vielen frischen Produkten nichts mehr zu bekommen war, dürfe heute bis zum Ladenschluss in Brot-, Fleisch- und Gemüsetheke nichts fehlen. Montags „schlägt die Stunde der Tafeln“. An diesem Tag sammeln die Transportfahrzeuge der Tafeln, was in den Supermärkten übrig und noch essbar ist, um es an die Tafelkunden zu verteilen.  Angesichts der großen Mengen Lebensmittel, die in Deutschland in jedem Jahr in der Tonne landen, rief sie dazu auf, verantwortungsvoller und bewusster einzukaufen und auch Reste sinnvoll zu verwerten.

Fünfter Gang: Käse und Ursula Wendt

Ursula Wendt ist evangelische Pfarrerin und Qi-Gong-Lehrerin. Neben der halben Pfarrstelle in Saasen bietet sie freiberuflich Qi-Gong-Kurse an. Geistliche Lieder, Stille, Einkehr und christliche Kontemplation sind die Elemente, aus denen die Pfarrerin Ursula Wendt geistliche Nahrung schöpft. Hinzu kommt seit einigen Jahren die chinesische Meditations- und Bewegungsform Qi Gong. Sie ist überzeugt, dass sich mit den Qi-Gong-Übungen göttliche Energie körperlich erfahren lässt. Da sich dies schlecht theoretisch vermitteln lässt, lud sie die im mittlerweile von Kerzenlicht erleuchteten Pfarrgarten versammelten Frauen dazu ein, dies in einer Übung auszuprobieren.

Sahnehäubchen: Musik und Marlena Zeidler

Kein frühneuzeitliches Festmahl ohne die passende Musik. Die kam am Samstag von Marlena Zeidler. Sie war kurzfristig für die erkrankte Dekanatskirchenmusikerin Dorotea Pavone eingesprungen und erfreute am E-Piano mit selbstkomponierten Liedern und eingängigen Melodien.

Abschluss: Lob und Dank

Martina Beele-Peters, zweite Vorsitzende des Hungener Stadtmarketing-Vereins, hatte das zweite Frauenmahl in Hungen angeregt, nachdem das erste im Reformations-Jubiläumsjahr 2017 ein voller Erfolg für die Organisatorinnen war. Seit mehr als einem Jahr sie diese Idee vorangetrieben worden, meinte die erste Vorsitzende, Dr. Julia Marterer-Stingl, und lobte die gelungene Zusammenarbeit von Kirchenfrauen und Stadtmarketing. Luise Böttcher, Vorsitzende der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau und Doris Wirkner dankten zum Abschluss allen Beteiligten und riefen zu Spenden für die Tafelarbeit der Diakonie auf.

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