Menümobile menu
Info

Kita-Öffnung

Interview: Was bedeutet der eingeschränkte Kita-Regelbetrieb?

FatCamera/gettyimagesViele Kinder freuen sich, endlich wieder Freunde, Erzieherinnen und andere Spielsachen zu sehenViele Kinder freuen sich, endlich wieder Freunde, Erzieherinnen und andere Spielsachen zu sehen

Kindergärten und Krippen haben am 2. Juni im „eingeschränkten Regelbetrieb“ geöffnet. Was das für Eltern, Erzieher und Kinder bedeutet und welche Unterschiede es zum normalen Regelbetrieb gibt, erklärt Sabine Herrenbrück im Interview. Sie leitet den Fachbereich Kindertagesstätten mit rund 600 Kitas in der EKHN.

C. Lesch / ekhnSabine HerrenbrückSabine Herrenbrück

Am 2. Juni sollten die Krippen und Kindergärten wieder im „eingeschränkten Regelbetrieb“ öffnen. Sabine Herrenbrück leitet den Fachbereich Kindertagesstätten der EKHN und ist damit für rund 600 evangelische Kindertagesstätten in Hessen und Rheinland-Pfalz verantwortlich. Redakteurin Erika von Bassewitz, selbst Mutter zweier Kindergartenkinder, hat mit ihr über die neuen Regeln in der Kinderbetreuung gesprochen.

Frau Herrenbrück, am 2. Juni sollten die Kitas in den eingeschränkten Regelbetrieb gehen. Für unsere Kita heißt das, jedes Kind wird an zwei festen Tagen von 8 bis 16 Uhr betreut, im Wechsel auch am Mittwoch. Wie ist das in den Kitas der EKHN in Hessen geregelt?

Sabine Herrenbrück: Das ist in jeder Kitas, jeder Kommune anders. Es hängt davon ab, welchen Eltern welchen Bedarf haben und wie die Bedingungen vor Ort sind. Jede Kita hat sich hingesetzt und geprüft, wie viele Erzieher es gibt und welche Räume zur Verfügung stehen. Manche haben wochenweise Schichten, andere tageweise oder halbtageweise Schichten.

Wir haben vom Land nur die Vorgabe bekommen, aufzumachen und die Hygieneempfehlungen einzuhalten, also Schleusen zur Übergabe der Kinder einzurichten, Mundschutz zu tragen, die Kinder immer in denselben festen Gruppen zu betreuen. Darum herum wird alles konstruiert. Es gibt eine Kommune, Usingen, da dürfen alle Kinder wieder kommen.

Und wie ist es in Rheinland-Pfalz?

Herrenbrück: In Rheinland-Pfalz hat man sich von Anfang an am Bedarf der Eltern ausgerichtet: wer braucht eine Betreuung und wer nicht.

Und wie lange wird es so weitergehen? Bei uns hieß es nur „bis auf weiteres“…

Herrenbrück: Die aktuelle Verordnung gilt bis Ende Juni und kann verlängert werden. Wir hoffen, dass es vier Wochen so hält. Wenn es viele neue Infektionen gibt, könnten wir auch zurück in die Notfallverordnung fallen.

Was ist im Kita-Alltag jetzt anders als vorher? Meine Tochter zum Beispiel muss jetzt in eine andere Gruppe gehen, es gibt einen Eingang und einen Ausgang, Eltern müssen Mundschutz tragen und es darf nur eine Person bringen und abholen. Wie sieht das in den EKHN-Kitas aus?

Herrenbrück: Das kommt ganz auf die Gebäudesituation an. Eltern und Fachkräfte sollen bei der Übergabe der Kinder Mundschutz tragen. Die Kinder kommen nicht unbedingt in ihre üblichen Gruppen, sondern werden nach Bedarf neu gemischt. Einrichtungen mit offenem oder teiloffenem Konzept müssen sich umstellen, offene Konzepte werden gar nicht gefahren. Dort werden die Funktionsräume in Gruppenräume umgewandelt.

Stichwort Betreuer. Wie viele Erzieher fallen durch Corona aus? Wie können Sie das kompensieren?

Herrenbrück: Ungefähr zwanzig Prozent der Erzieherinnen fallen aus, weil sie zu Risikogruppen gehören. Wir versuchen das zu kompensieren, indem diese Erzieherinnen zum Beispiel auf dem Außengelände die kontaktarme Aufsicht im Freien führen, die Leitung bei der Büroarbeit unterstützen oder konzeptionelle Aufgaben im Hintergrund übernehmen, mit denen sie die anderen Erzieherinnen unterstützen. Sie übernehmen dann Aufgaben, bei denen sie nicht mit vielen Menschen in Kontakt kommen. Viele Fachkräfte aus Risikogruppen melden sich auch freiwillig zum Kinderdienst, weil sie vielleicht über sechzig sind, aber fit wie ein Turnschuh. Als Arbeitgeber dürfen wir sie aber nicht zum Kinderdienst auffordern. Generell leisten die Erzieherinnen gerade echt eine Herkulesarbeit.

Evangelische Kindertagesstätten stehen ja oft direkt neben dem Gemeindehaus, der Kirche oder dem Pfarrgarten. Werden die Gemeindesäle jetzt zu Turn- oder Gruppenräumen?

Herrenbrück: Das geht theoretisch, aber nur mit Rücksprache des Jugendamtes. Die Räume müssen alle vom Jugendamt abgenommen werden. Wenn es gut läuft, haben wir im August oder schon im Juli Regelbetrieb. Was immer geht: Mehrzweckräume zu Gruppenräumen umzufunktionieren.

Pfarrgarten, klar, das geht. Draußen ist am allerbesten. In Leipzig haben sie die Kinder auf der Trabrennbahn betreut, auch das ist eine Idee.

In Frankfurt gab es gerade einen ähnlichen Aufruf, Freiflächen in Schwimmbädern und Sportanlagen für Kitas zur Verfügung zu stellen. 

Herrenbrück: Na klar, sofort. Parks und Spielplätze draußen sind großartig, da können wir mehr Kinder betreuen. Das ist das dann der fünfte oder der sechste Kita-Raum.

In manchen ländlichen Regionen der EKHN gibt es auch viel Wald. Werden die Kinder dort mehr in den Wald gehen, also quasi in eine Waldkita gehen?

Herrenbrück: Ja, das ist eine Option, Ausflugs- oder Rucksackgruppen zu machen. Die Kinder kommen morgens mit einem Rucksack zur Kita und gehen dann direkt in den Wald. Es werden auch Waldwochen gemacht, das steht bei vielen Kitas in ländlichen Regionen eh im Konzept. Bei gutem Wetter ist alles schick, bei schlechtem Wetter weniger. Wobei echte Waldgruppen auch einen Bauwagen oder eine Hütte haben, in der sie sich unterstellen können. 

Was können Eltern tun, die mehr Betreuung brauchen?

Herrenbrück: Es gibt viele Elternbeschwerden, viele Eltern sind unglücklich. Man kann die Kita direkt ansprechen, oder auch den Trägern und im Zweifelsfall auch die Kommune. Die Situation haben nicht die Kindergärten geschaffen, und sie haben es auch nicht zu verantworten. Wir von der EKHN hätten gerne den Regelbetrieb für alle eingeführt - dafür für alle etwas weniger Betreuungszeit - auch für die Eltern mit systemrelevanten Berufen. Wenn diese Eltern nicht auf der vollen Betreuung bestehen, wäre das hilfreich. Kommunen, Träger und Eltern stehen alle in der Verantwortung. 

Aber die Arbeitgeber der Eltern müssen auch mitspielen…

Herrenbrück: Ja, manche Eltern rufen in Tränen aufgelöst in den Kitas an, weil sie ihren Job verlieren, wenn das Kind nicht betreut werden kann. Arbeitgeber sind auch in der Verantwortung, den Eltern die Arbeit zu erleichtern.

Manchmal frage ich mich auch, um wessen Rechte und Bedürfnisse geht es hier geht. Es gibt Demos gegen die Einschränkung der Grundrechte. Wer steht für Kinderrechte auf? Alle ihre Rechte auf Bildung und Teilhabe sind eingeschränkt. Kinder haben auch ein Recht auf Teilhabe und auf Freunde. Ganz schlimm waren die gesperrten Spielplätze, Kinder müssen sich doch bewegen. 

Man darf aber nicht vergessen: Es ist noch nicht vorbei. Bis es ein Medikament oder eine Herdenimmunität gibt, ist es noch ein langer Weg. Das kann uns noch böse einholen.

Müssen die Eltern weiter die Gebühren zahlen, obwohl die Kinder nicht oder nur teilweise betreut werden?

Herrenbrück: Das ist ein schwieriges Thema. Die Gebühren werden von den Kommunen festgesetzt, die EKHN richtet sich danach. Viele haben nichts eingezogen, manche nur von den Eltern in Notbetreuung. Manche Kommunen wollen vielleicht auch nachträglich Gebühren einziehen, das ist schwierig bei Beträgen wie zum Beispiel in Eppstein (*417 Euro im Monat ganztägig für ein zweijähriges Kind, Anm. d. Redaktion).

In allen anderen Bundesländern gab es Zusagen zur Übernahme der Gebühren, in Hessen nicht. Das Land Hessen will sich beraten, im September wollen sie sich äußern. Wir werden von der Politik ganz schön allein gelassen. In Rheinland-Pfalz sind Kinder über zwei Jahren sowieso beitragsfrei, dort ist das besser geordnet.

Was würden Sie sich wünschen, wie soll es jetzt weitergehen?

Herrenbrück: Aus Sicht der Kinder wünsche ich einen Regelbetrieb, aus Sicht der Eltern auch. Für die Erzieherinnen wünsche ich mir mehr Wertschätzung für das, was sie leisten. Alle können Abstand halten, Erzieher nicht. Pflegekräfte können Schutzkleidung tragen, Erzieher nicht. Krankenschwestern kriegen Applaus, Erzieher kriegen ein Kind durch die Tür geschoben. Und für meine Arbeitsebene wünsche ich mir eine Verordnung, die mal länger als vier Wochen hält.

to top