Blog aus Italien - Teil 5
„Das sind deine Kinder“
bbiew21.10.2018 bbiew Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Wir verlassen am Morgen Palermo und fahren nach Syrakus. Nicht zu dem berühmten antiken Theater, sondern zur Gemeinde Maria Madre della Chiesa, die für ihr Kirchenasyl bekannt ist. Padre Carlo empfängt uns. Bevor er über die Aktivitäten seiner Gemeinde erzählen will, lädt er uns zum Essen ein. Wir speisen mitten in der Kirche gemeinsam mit einigen der Geflüchteten aus Afrika, die hier eine Bleibe gefunden haben.
"Das ist Kirche"
Padre Carlo sagt, er habe Theologie studiert, viele Bücher gelesen auch über Ekklesiologie, über das Wesen und die Bedeutung der Kirche. Doch in einer einzigen Nacht habe er erkannt, was Kirche wirklich ausmache. „Das war die Nacht, als dutzende Flüchtlinge in der Kirche Zuflucht gesucht hatten. Sie schliefen auf Matratzen und Feldbetten auch im Altarbereich. Es wurde viel und laut geschnarcht und es hat nach Schweißfuß gerochen. Und es sah so aus, als ob über dem Altar Jesus am Kreuz seine Arme ausbreitet und alle Menschen beschützt. Da habe ich verstanden. Das ist Kirche.“ Es ist wohl kein Zufall, dass in Abwandlung des Bibelverses „Frau, siehe, das ist dein Sohn!“ (Joh 19,26) in der Kirche neben dem gekreuzigten Jesus zu lesen ist: „Frau, siehe, das sind deine Kinder.“
Padre Carlo ist es egal, welchen Glauben ein Mensch hat. Von sich selbst sagt der katholische Priester: „Ich bin kein Katholik. Ich bin Christ.“ Im Laufe der Jahre haben nach seinen Angaben rund 3.000 Geflüchtete aus 65 Ländern bei ihm angeklopft und sie wurden hineingelassen. Zurzeit leben elf junge Männer aus verschiedenen afrikanischen Länder in Wohnungen des Kirchengebäudes. In der Regel ist es kein Kirchenasyl, um Geflüchtete vor der Abschiebung zu bewahren. Vielmehr geht es um die Unterstützung von Menschen, die nicht wissen, wo sie bleiben können.
Auf- und angenommen werden
Einer von ihnen ist Yoro Aldao aus Gambia. Er sagt, was er hier bekommen habe, sei viel mehr als Essen und ein Bett zum Schlafen. Er sei hier als Mensch von anderen Menschen auf- und angenommen worden. „Nirgendwo sonst bin ich solchen Menschen begegnet“, sagt der 22jährige, der nahezu perfekt italienisch spricht, seit viereinhalb Jahren hier lebt und als Minderjähriger geflohen war. Ein Landsmann von ihm wirkt dagegen eher traurig und bedrückt. Er ist erst seit zwei Monaten hier, spricht bislang nur ein paar Brocken Italienisch, dafür umso besser Deutsch. Er lebte nach eigenen Angaben zwei Jahre und acht Monate in Ravensburg in Baden-Württemberg, arbeitete dort in einem Metallbetreib und wurde vor kurzem auf Grundlage der Dublin-Verträge nach Italien abgeschoben.
Salvini? Nein, danke!
Padre Carlo ist je nach Sichtweise mit einem gesunden oder überbordenden Selbstbewusstsein ausgestattet. Er erlaubt sich Kritik mit drastischen, derben Worten. Was er über die rechtspopulistische Regierung Italiens sagt, ist in einem Kirchen-Blog nicht unbedingt zitierfähig. Er, der so viele aufnimmt, würde einen gerne abschieben. „Salvini (der italienische Innenminister Anm.d.Verf.) könnt ihr gern haben. Ganz umsonst. Ich gebe Euch Di Maio (Das ist der ital. Arbeitsminister von der Fünf-Sterne-Bewegung) gern dazu. Auch umsonst.“ Soweit erkennbar lehnt die Gruppe aus Hessen das großzügige Angebot dankend ab.
Friedenskerze - Ende der Wanderschaft
Dank spricht Pfarrerin Sabine Müller-Langsdorf vom Zentrum Oekumene dem Padre und seiner Gemeinde aber für sein Engagement aus. Wer sich für Geflüchtete einsetze, der setze sich für Frieden und Gerechtigkeit ein. Sie überreichte die Friedenswanderkerze aus dem Jahr 2016, die von Gemeinde zum Gemeinde ging und dem Thema Flucht gewidmet war. Sie soll in der Gemeinde Maria Madre della Chiesa in Syrakus bleiben. Padre Carlo und Yoro Aldao aus Gambia machten sich gleich daran, die Kerze am höchsten Punkt der Kerzenpyramide vor dem Kreuz aufzustellen.
1:0 für Padre Carlo
Die Gruppe aus Hessen war nicht die erste und einzige, die der Gemeinde in Syrakus einen Besuch abstattete. Einige Zeit vorher empfing Padre Carlo Fußballfans vom FC St. Pauli. „Sie haben Freundschaft im Herzen“, sagt der Padre. Das St.Pauli-Banner mit dem Totenkopf hängte er in seinem Pfarrbüro auf.