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Kinderarmut

Der Kinderarmut die Stirn bieten – Was ist zu tun?

istockphoto, danr13SchuljungeRuhe für die Hausaufgaben? In ärmeren Familien ist die Wohnsituation oft beengt.

Wandertag – und das Kind hat nicht die passenden Schuhe dabei, weil das Geld dafür gefehlt hat. Von diesen und ähnlichen Situationen sind vermutlich immer mehr Kinder betroffen. Laut einer Studie hat die Kinderarmut weiter zugenommen. Felix Blaser von der Diakonie Hessen macht Vorschläge, um die Situation der Betroffenen zu verbessern.

Kinder und Jugendliche, die unter Kinderarmut leiden, sind häufiger von Ausgrenzung betroffen, erreichen seltener qualifizierte Schulabschlüsse und haben eher mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen. Dabei hat die Anzahl  der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren zugenommen, deren Familien Hartz IV beziehen - trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung. Laut der im September 2016 veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Thema „Kinderarmut“  sind im letzten Jahr 14,7 Prozent, also rund zwei Millionen Mädchen und Jungen, in Familien aufgewachsen, die von staatlicher Grundsicherung leben. Im Vergleich zu 2011 ist das ein Anstieg um 0,4 Prozent.

Geldleistung soll grundlegenden Bedarf decken, Wirtschaft in der Pflicht

Dr. Felix Blaser, Referent für Armutspolitik in der Diakonie Hessen, macht deutlich: „Zunächst einmal müsste der Regelsatz für Kinder neu berechnet werden. Aktuell ist er zu gering angesetzt und schreibt daher Kinderarmut fest.“  Damit unterstützt er auch das Vorhaben der Diakonie Deutschland. Mara Loheide, Vorstand Sozialpolitik, hatte angekündigt, dass sich die Diakonie Deutschland dafür einsetzen werde, dass der Kinderregelsatz angehoben werde - im Rahmen der Neufestsetzung der Hartz IV-Regelsätze. Laut Referent Blaser sollten Familien zudem alle Leistungen für ihre Kinder über eine Stelle beantragen können.  Blaser sieht aber auch die Wirtschaft in der Pflicht. Sie solle Jobs anzubieten, die so entlohnt werden, dass die Arbeitsplatzinhaber davon auch eine Familie finanzieren können.

Auch in Hessen und Nassau hat die Kinderarmut zugenommen

Der evangelische Armutspolitikreferent hat festgestellt: „Armut ist in den seltensten Fällen ein Phänomen, das offen vor Augen liegt. Wer von Armut betroffen ist, versucht häufig, dies nicht sichtbar werden zu lassen.“ Dabei hat die Kinderarmut auch im Kirchengebiet der EKHN zugenommen:  In Hessen ist sie von 13,3 auf 14,4 gestiegen, in Rheinland-Pfalz von 10,7 auf 11,5. In Offenbach soll laut Studie sogar mehr als jedes dritte Kind von Armut betroffen sein. Im Interview erläutert  Felix Blaser seine Vorschläge, wie Kinderarmut verringert – und am besten beseitigt – werden könnte: 

Das Interview:

Die Bertelsmann-Studie hat ergeben, dass die Kinderarmut in vielen Teilen Deutschlands trotz wachsender Wirtschaftskraft zugenommen hat. Wie erklären Sie sich das?

Felix Blaser: Wachsende Wirtschaftskraft kommt nicht allen gleichermaßen zugute. Wer keine entlohnte Arbeit hat, dem hilft auch das Wachstum der Wirtschaft wenig. Es gibt immer noch viele Familien, die von SGB II - Leistungen leben müssen. Zudem arbeiten nach wie vor zu viele Menschen für einen Lohn, mit dem sie den Lebensunterhalt ihrer Familie nicht bestreiten können. Das geht dann stark auch auf Kosten der Kinder. Arbeit muss sich lohnen. Ein anderer Grund ist in der ungerechten Familienförderung zu sehen. Aktuell werden Kinder gutverdienender Eltern durch die Kinderfreibeträge stärker unterstützt als Kinder Erwerbsloser oder mittlerer Einkommensbeziehender. Wer mehr als zwei Kinder hat, ist in Deutschland stark von Armut bedroht. Hier muss die Politik nachsteuern.

Um die Situation der Kinder zu verbessern, hat die Diakonie seit Jahren ihre Haltung auch politisch Verantwortlichen deutlich gemacht – doch die Kinderarmut steigt weiter. An welchen Punkten „hakt“ es?

Felix Blaser: Zunächst einmal müsste der Regelsatz für Kinder neu berechnet werden. Aktuell ist er zu gering angesetzt und schreibt daher Kinderarmut fest. Die tatsächlichen Kosten für Ernährung und Kleidung, Schulbedarf und Mobilität werden bei der Berechnung des Regelsatzes bislang nicht aufgenommen. Hier ist dringend nachzusteuern, damit sich Armut nicht mit gravierenden Folgen auf die weitere Entwicklung von Kindern auswirkt.

Was muss noch geändert werden, damit es tatsächlich zu einer Wende kommt?

Felix Blaser: Die bestehenden Leistungen müssten einfacher gestaltet und für die Berechtigten leichter zugänglich sein. Wenn man bedenkt, dass rund 40 Prozent der Leistungsberechtigten keinen Antrag auf Grundsicherung, Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes oder den Kinderzugschlag stellen, macht einen das schon nachdenklich. Wünschenswert wäre, dass langfristig Familien alle Leistungen für ihre Kinder über eine Stelle beantragen könnten.

Welche konkreten Forderungen stellen Sie an Verantwortliche in Wirtschaft und Politik?

Felix Blaser: Die Wirtschaft steht in der Verpflichtung, Jobs anzubieten, die so entlohnt werden, dass man davon auch eine Familie finanzieren kann. Auch die Förderung von Weiterbildungs- und Beschäftigungsangeboten ist eine Aufgabe, die der Wirtschaft zukommt. Bildung und Qualifizierung sind nach wie vor wirksame Mittel zur Verhinderung von Armut. Grundsätzlich ist aber festzuhalten, dass es eine staatliche Verpflichtung ist, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder nicht in Armut aufwachsen. Neben Geldleistungen für Familien, Kinder und Jugendliche braucht es daher auch dauerhaft finanzierte Infrastrukturangebote und Unterstützungsmöglichkeiten im Einzelfall.

Laut Studie hat auch im EKHN-Gebiet die Kinderarmut zugenommen.  Wie nehmen Sie als Armutsreferent die Situation hier in der Region wahr?

Felix Blaser: Armut ist in den seltensten Fällen ein Phänomen, das offen vor Augen liegt. Wer von Armut betroffen ist, versucht häufig, dies nicht sichtbar werden zu lassen. Über eine direkte Wahrnehmung lässt sich der Anstieg von Kinderarmut daher kaum wahrnehmen. Die Erzieherinnen und Erzieher in den Kindergärten und die Lehrer/innen in den Grundschulen werden jedoch vermutlich anderes zu berichten wissen. Wer sich nicht die richtige Kleidung oder den angesagten Rucksack leisten kann, gilt schnell als ausgeschlossen. Wer im Kindergarten auch nach mehrmaliger Aufforderung an die Eltern, sie mögen dem Kind doch Gummistiefel kaufen, ohne dieselben zur Einrichtung kommt, der steht zwar nicht im Regen, bleibt aber als einziger der Gruppe in den Räumen, wenn die anderen spielen - und ist damit auch ausgeschlossen.

Wie kann ich mich als Bürgerin oder Bürger gegen Kinderarmut einsetzen?

Felix Blaser: Es gibt viele Projekte, die sich gezielt gegen Kinderarmut einsetzen. Neben der finanziellen oder zeitlichen Unterstützung dieser Projekte ist auch auf die politische Seite hinzuweisen. Jede oder jeder  kann fragen, wie es mit der Kinderarmut in der eigenen Kommune aussieht und was politisch dagegen getan wird. Denn es bleibt dabei: Ein Aufwachsen in Armut zu verhindern ist eine staatliche Verpflichtung!

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