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Konzertlesung

Der Küchentisch als Hoffnungsort

sru/DekanatLieder und Gespräche am Küchentisch: Die Konzertlesung mit Judy Bailey, Sarah Vecera und Patrick Depuhl befasste sich mit dem Thema Rassismus.

Die Konzertlesung „Jesus ist nicht schwarz-weiß“ von Judy Bailey, Sarah Vecera und Patrick Depuhl setzte sich in der Stadtkirche Babenhausen auf spielerische und sehr persönliche Weise mit dem Thema Rassismus auseinander.

sru/DekanatDie Ökumene-Pfarrerinnen Sandra Scholz und Margit Binz aus den Dekanaten Dreieich-Rodgau und Vorderer Odenwald (2. und 3. v.li.) und Dr. Rose Schließmann, Referentin für die Arbeit mit Menschen in der 2. Lebenshälfte im Dekanat Vorderer Odenwald (2.v.re.) haben die Konzertlesung organisiert.

Einen Küchentisch haben sich die Musikerin Judy Bailey, die Theologin und Autorin Sarah Vecera und der Musiker Patrick Depuhl für ihre musikalische Lesung „Jesus ist nicht schwarz-weiß“ ausgesucht, um von ihren eigenen Erfahrungen mit Rassismus zu erzählen, um zu singen und die Liebe und die Hoffnung zu feiern. Entstanden ist die Konzertlesung mit ihrem innovativen Konzept antirassistischer Bildungs- und Kunstarbeit auf dem Kirchentag 2023 in Nürnberg. Derzeit sind die Drei auf Deutschlandtour und waren am Dienstagabend in der gut besuchten evangelischen Stadtkirche in Babenhausen zu Gast. Organisiert wurde der Abend von den Evangelischen Dekanaten Vorderer Odenwald und Dreieich-Rodgau.

Am Schluss tanzte das Publikum. Die Menschen bauten mit ihren Händen untereinander Brücken. „Für uns ist das ein Hoffnungsfest heute Abend“, sagt Patrick Depuhl. Dem freudigen Abschluss in der farbenfroh beleuchteten Stadtkirche waren intensive, berührende uns sehr persönliche Momente vorausgegangen. Angefangen mit der Frage „Woher kommst du?“, die den beiden Schwarzen Frauen von Kindheit an ständig und immer wieder gestellt wird und die sie mittlerweile prozentpunktgenau beantworten können, weil sie eine DNA-Analyse haben machen lassen. Da ist die Musikerin Judy Bailey, geboren in London, aufgewachsen auf Barbados, einst britische Kolonie, wohin Menschen aus Afrika versklavt worden waren. Sie ist seit 27 Jahren mit dem Musiker Patrick Depuhl verheiratet. Die beiden haben drei Söhne zwischen 15 und 21 Jahren, die  immer wieder die Erfahrung machten, als Einzige im Zug auf Fahrkarte und Ausweis kontrolliert zu werden. Sarah Vecera ist Theologin und Autorin, die Mutter Deutsche, der Vater aus Pakistan. Aufgewachsen ist sie bei ihren Großeltern. Sie sei evangelisch sozialisiert und in der Kirche „die Einzige, die nicht weiß war“. „Aber ich kannte Nicht-Weiße von den Spendenplakaten – für die sammelte man“, sagt sie.

Irgendwann sang Judy Bailey bei ihnen in der Kirche – so haben sie sich kennengelernt – und für Sarah Vecera war es eine besondere Erfahrung, dass eine Nicht-Weiße ein Mikrofon in die Hand bekam. Ihre Oma sei aus Pommern geflohen und habe sie mit 49 Jahren aufgenommen ohne jemals einen Unterschied zu machen zwischen ihren leiblichen Kindern und ihr, erzählt Sarah Vecera, die selbst Mutter von zwei Kindern ist. Ihre Oma habe keine Ausbildung gehabt und habe nicht auffallen wollen. Sie habe sich nicht gegen Rassismus und für Feminismus eingesetzt, aber ihre Werte vorgelebt. Und sie lebt weiter: Ihre Oma, der das Buch „Gemeinsam anders“ gewidmet ist, sei die Grundlage all ihres Handelns und ihres Schreibens, sagt Sarah Vecera. „Die Liebe, das Miteinander ist das, was zählt im Leben.“

Es gibt nur eine menschliche Rasse
Rassismus sei ein Unterdrückungssystem, 500 Jahre alt, bei dem es darum gehe, Menschen zu trennen („wir und die anderen“), auch emotional, so Vecera, um „eine Empathielücke zu schaffen“. So sei es leichter gewesen, Menschen mit schwarzer Hautfarbe zu versklaven. Mit Beginn der Aufklärung habe man eine Rechtfertigung gebraucht – je heller die Hautfarbe, umso heller im Köpfchen, ergänzt Patrick Depuhl. Dabei: „Es gibt eine menschliche Rasse – eine.“

Zwischen den Geschichten, die auch in verschiedenen Büchern veröffentlicht sind, gibt es immer wieder Musik. Die Lieder handeln von Demokratie, von Hoffnung, von Gerechtigkeit, vom Sein („I am“). Dabei sei es wichtig, nicht nur gegen etwas zu sein, sondern auch für etwas. Mit den Demokratie-Demonstrationen hätten Abertausende von Menschen dies auf den Straßen zum Ausdruck gebracht. „Die Corona-Zeit war schwer, aber diese Zeit wiegt schwerer“, sagt Judy Bailey. Und meint die aktuelle Migrationsdebatte. Menschen, die „Passdeutsche“ seien oder noch nicht einmal das, machten sich Gedanken um einen Plan B.

„Wir haben nichts von verschwiegenen Geschichten“, sagt Patrick Depuhl. Er erzählt die Geschichte eines Jungen, Michael, der unehelich in einem Lebensborn-Heim geboren und später adoptiert wurde. Der Lebensborn wurde von SS-Reichsführer Heinrich Himmler ins Leben gerufen, um die Geburtenrate derer zu steigern, die in die NS-Rassenideologie passten. Michael habe zeit seines Lebens geschwiegen, sagt Patrik Depuhl. Michael war sein Vater. Er starb 2011.

Was also hilft? Miteinander sprechen, einander zuhören, die Perspektive des anderen einnehmen, gemeinsam essen –  zum Beispiel am Küchentisch. Oder in der Kirche. „Hört nicht auf, von etwas Größerem zu träumen. Die Zukunft gehört denen, die sie aktiv gestalten.“

Am Vormittag gab es in Ober-Roden bereits den Workshop „Rassismus steckt in uns“, bei dem Mechanismen von Vorurteilen beleuchtet und Strategien entwickelt wurden, um rassistische Denkweisen zu hinterfragen und abzubauen. Gefördert wurden Konzertlesung und Workshop vom Projekt „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens" der EKHN, vom Projekt „Glauben Gemeinsam Gestalten“ des Landesprogramms Hessen aktiv für Demokratie und gegen Extremismus und vom Verein „Andere Zeiten e.V.“

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