Ein persönlicher Rückblick von Pfarrer Lotz auf die ÖRK-Vollversammlung
"Ein Zeugnis von Jesus Christus in einer sehr bunten Verschiedenheit"
H. Lotz
28.09.2022
h_wiegers
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Von der medialen Öffentlichkeit weitgehend ignoriert, fand in Karlsruhe die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) Ende August bis Anfang September 2022 zum ersten Mal auf deutschem Boden statt. Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, sagte im Rahmen einer Pressekonferenz zur Eröffnung: „Der Grund, warum die Medien so wenig über die Kirchen berichten, ist vielleicht, dass wir nicht genügend über Sex reden" und ließ dabei seinen britischen Humor aufblitzen. Aber im Ernst. Diesem zentralen Organ der ökumenischen Bewegung, das nur alle sieben bis acht Jahre eine Vollversammlung ab, gehören immerhin 352 Mitgliedskirchen in 125 Ländern dieser Erde an. Damit vertritt sie 580 Millionen Christinnen und Christen, ein Viertel der Christenheit. Über 800 Delegierte aus den Mitgliedskirchen und dazu etwas mehr als 2500 Vollversammlungsteilnehmende bildeten in Karlsruhe die große Familie der Christenheit. Ihre Mitte ist das gemeinsame Gebet und das Studium der Bibel. Dabei ist die Familie der Christenheit so bunt und vielfältig und ihre Gemeinschaft macht gerade das aus: Das Zeugnis von Jesus Christus in einer sehr bunten Verschiedenheit!
Lebendiger Austausch von Kontakten und Einladungen
Als Vollversammlungsteilnehmer empfand ich mich schnell als Familienmitglied, zumal im Hotel ganz unterschiedliche Nationen vertreten waren, darunter über 30 Delegierte aus verschiedenen Teilen Indonesiens. Im Shuttlebus zum Kongresszentrum, wo die Tagung stattfand, gab es morgens und Abend reichlich Gesprächsstoff. „Wie heißt Du?“ „Woher kommst Du?“ „Warum kannst Du Indonesisch?“, wurde ich gefragt, der ich nicht nur Inhaber der Profilstelle für Mission und Ökumene im Evangelischen Dekanat Ingelheim-Oppenheim bin, sondern auch Mitglied im Partnerschaftsausschuss der EKHN mit der Evangelischen Kirche in Minahasa (GMIM) in Indonesien. Schnell wurden Namen ausgetauscht und meist auch Telefonnummern. Die Einladungen häuften sich.
Eine große singende und betende Familie
Zu den Höhepunkten der Vollversammlung in Karlsruhe gehörten für mich eindeutig die Morgenandachten im großen Zelt auf dem Kongressgelände. In der "Oasis of Peace" berührten die Lieder aus der weiten Welt des Christentums, aber auch die wundervoll gestalteten Texte der Gebete. (Sie können als pdf-Datei unter ekhn.link/jxTaDh heruntergeladen werden!). Es war eine bunte Mischung und eine große singende und betende Familie, die bisweilen auch ausgelassen in den Andachten tanzte.
Außergewöhnliche Bibelarbeit mit hervorragenden Theologen
Zum zweiten waren es die Bibelarbeiten im Plenum. Zu den Bibeltexten des Tages leiteten hervorragende Theologinnen und Theologen aus den verschiedenen Kirchenfamilien ein zu einer Auslegung des Textes, der dann zugespitzt auf wenige Fragen diskutiert wurde in Runden, in denen man sich zufällig zusammenfand. Wie schön, andere Interpretationen zu hören von einem griechisch-orthodoxen Priester, der in den USA lebt, aber aus dem Irak stammt, oder ins Gespräch zu kommen mit einer Teilnehmerin, die extra aus Australien angereist kam. Und nicht zu vergessen die jungen Theologinnen und Theologen aus Südkorea, die mit viel Interesse unsere Sicht hören wollten.
Ernsthaftes Arbeiten in den Plenarsitzungen bis in die Nacht hinein
Zum dritten: Ich fand es beeindruckend, wie die Delegierten in der Vollversammlung arbeiteten in den nachmittäglichen Plenarsitzungen. Es galt in allen Debatten das Konsens-System. Mit orangenen Karten zeigte man seine Zustimmung, mit blauen Karten, dass man Bedenken habe oder nicht zustimmen könne. Die Ausschüsse des Zentralkomitees hatten gut vorgearbeitet und die Voten aus dem Plenum heraus wurden eingearbeitet, oftmals noch in Nachtsitzungen. So kamen denn am letzten Tag auch die Stellungnahmen zu „Krieg in der Ukraine, Frieden und Gerechtigkeit in der Region Europa“, „Streben nach Frieden für alle in Nahen Osten“ und „Der lebendige Planet: Streben nach einer gerechten und nachhaltigen weltweiten Community.“ Wie miteinander auch kontroverse Themen abgehandelt wurden und von der wunderbaren Moderatorin, Dr. Agnes Abuom, gewürdigt und dann auch kanalisiert wurden, hat mich nachhaltig beeindruckt.
Eindruck von einer Kirche im Erneuerungsprozess
Natürlich traf ich auch auf Delegierte unserer indonesischen Partnerkirche, der GMIM, und war erfreut, eine hochrangig besetzte Delegation zu erleben. Aber durch die Begegnungen in Karlsruhe mit Delegierten aus anderen indonesischen Kirchen habe ich nun eine Fülle von Einladungen in ganz verschiedene Regionen und Inseln in Indonesien. Es ist schön, zu einer solch vielgestaltigen Kirche Jesu Christi zu gehören, die sich über die ganze Welt spannt und die sich gerade in einem Prozess der Erneuerung befindet, weil junge Menschen sich vermehrt in die Diskussionsprozesse einmischen und ihr Recht auf angemessene Repräsentation nachdrücklich einforderten.
Pfarrer Hartmut Lotz ist Inhaber der Profilstelle "Mission & Oekumene" im Dekanat Ingelheim Oppenheim und Mitglied im Partnerschaftsausschuss für die Partnerschaft mit der indonesischen Minahasa-Kirche sowie in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Bingen-Ingelheim. Hier finden Sie mehr zu seiner Arbeit ekhn.link/39wjMH