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Kirchentag

Ermutigende Glaubenserfahrungen

Heidi FörsterMan sieht 30 Menschen mit den roten Kirchentagsschals und der Aufschrift "Damit wir klug werden"Fröhlich und beseelt kehrte die 30-köpfige Gruppe aus dem Evangelischen Dekanat Groß-Gerau vom Kirchentag in Stuttgart zurück.

"While we are talking, people are getting their heads removed" sagte Bischof Nick Baines im Hauptvortrag mit UN-Generalsekretär Kofi Annan und Außenminister Walter Steinmeier. Reden die stark machen, Gemeinschaft, die gut tut: die Groß-Gerauer nehmen das Motto "Damit wir klug werden" vom Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart mit in ihre Kirchengemeinden.

Für Else Trumpold war die Begegnung mit einer Katholikin beim Kirchentag bewegend, die meinte: „Je mehr wir Leiden auf uns ziehen, desto besser für das Jenseits“. „Aber wir haben doch einen barmherzigen Gott“ hörte sich die stellvertretende DSV-Vorsitzende aus Groß-Gerau spontan antworten. Entsetzt über das noch immer lebendige Bild eines strafenden Gottes war Else Trumpold aber auch positiv überrascht über ihre eigene Sprachfähigkeit im Glauben.

Als „ermutigende Glaubenserfahrung“ kennzeichnete der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm den Deutschen Evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Aufgabe der Christinnen und Christen sei es, sich einzumischen. Vorgänger Dr. h.c. Nikolaus Schneider war nach der Krebsdiagnose seiner Frau Anna von seinem Amt zurückgetreten. Die Eheleute hatten bei ihrer gemeinsamen Bibelarbeit am Samstag, den 6. Juni 2015 Max Frisch zum Thema Hoffnung mehrfach zitiert: „Wissen Sie in der Regel, was sie hoffen?“

 

Highlights der Groß-Gerauer

Andreas Glassen (17) aus Klein-Gerau war zum Kirchentag auch zum ersten Mal fünf Tage lang ohne Eltern verreist, mit 30 weiteren Teilnehmerinnen/Teilnehmern aus dem Evangelischen Dekanat Groß-Gerau. „Nur beim Organisieren gab es ein paar Probleme“, schmunzelte er auf der gemeinsamen Heimreise im Bus. Untergebracht in einer Schule am Rande von Stuttgart, galt es ja auch täglich neu, den Rucksack für den ganzen Tag zu packen. Bei tropischen Temperaturen gab es rund um die Bühnen, Veranstaltungsorte und Kirchen der Stadt Wasserstationen zum Nachfüllen der eigenen Trinkflaschen. Praktisch! Eine überraschende Erfahrung war nicht nur für Andreas sondern auch für Isabel Slavicek(16) aus Worfelden und AdamYalcinöz (17) aus Büttelborn, die zum ersten Mal einen Kirchentag besucht hatten,der Abschluss am Abend der Begegnung in der Stuttgarter Innenstadt. Der Schlossplatz im Lichtermeer mit tausenden singenden Menschen, das sei bewegend gewesen. Doch dann wollten auch alle gleichzeitig per S- und U-Bahnen zu ihrenQuartieren fahren. Müde und inmitten überfüllter Bahnsteige gab es statt Drängelnfreundliche Gesichter und statt schweigsamen Wartens spontane Chöre. Anna Müller(27), Jugendleiterin in der Ev. Kirchengemeinde Klein-Gerau, hat in diesem Jahr die Gruppe der 16- und 17-Jährigen begleitet. „Von morgens bis abends beten, das ist es nicht!“ lachte sie zum allgemeinen Vorurteil derer, die den Kirchentag noch nieerlebt haben. „Das schöne Wetter, das viele Wasser, die sauberen Klos und vor allem die netten Menschen und Helferinnen und Helfer“ fasst die 45-jährige Kirchenvorsteherin Britta Jung-Willrodt aus Groß-Gerau ihre Beobachtungen zusammen. „Leute treffen und mit ihnen gemeinsam etwas erleben”, lautete das positive Fazit von Dekanatsjugendreferent Bernd Altmann und Gemeindesekretärin Daniela Traiser, befragt nach ihren Highlights in Stuttgart. Pfarrvikarin Stefanie Bischoff aus Nauheim hob den Austausch zwischen dem Soziologen Hartmut Rosa und Bundespräsident Joachim Gauck zu den Grenzen von Marktwirtschaft, Wettbewerb und Wachstum hervor bei einer von insgesamt 2500 Veranstaltungen. Dabei seien auch Perspektiven in einer sich stets beschleunigenden Welt angesprochen worden. Kritisch merkte Sarah Kirchhoff,Pfarrerin in Rheinhessen, an, dass nach ihrem Eindruck vor allem in der Eröffnungspredigt auf dem Schlossplatz „Flüchtlinge herhalten mussten für den moralischen Zeigefinger.“ Mit und nicht über Flüchtlinge reden, dies sei vielmehr ihr Motto, das sie in ihrer Kirchengemeinde Jugenheim fördere.

Kofi Annan warnt vor Gefahren

Gesellschaftspolitische Themen mit wohlgesetzten Reden und prominenten Gästen, dazu zählte auch der Hauptvortrag am Samstag in der Martin-Schleyer-Halle mit Dr. Frank-WalterSteinmeier (Bundesaußenminister) und Dr. Kofi A. Annan (Generalsekretär der Vereinten Nationen). „While we are talking, people are having their heads removed“,„Während wir reden, werden Menschen geköpft,“ sagte der britische Bischof Dr. h.c.Nick Baines auf der Bühne und meinte die Menschen in Syrien und im Irak, die seit Frühjahr 2014 von brutalen IS-Kämpfern hingerichtet werden. „You do not changethe world simply by making statements. The danger of having well-meening conferences is that we think that having talked, we have achieved something.” Wohlmeinende Konferenzen, so Baines, ließen uns irrtümlich glauben, etwas erreicht zu haben. Wesentlich sei jedoch die Frage: „How to come to negociate with people, who don’t want to talk?” “Wie kommt man in Verhandlungen mit Menschen, die nicht diskutieren wollen?“ An den britischen Premierminister David Cameron hatte er einen Brief geschrieben, aus seiner Antwort sei er jedoch bis heute nicht klug geworden. Der UN-Generalsekretär Annan pointierte in seiner Rede eine nötige „common force“, eine gemeinsame Kraft angesichts der Gefahr, in der wir uns alle befänden: „We all face a common danger.“

Deutschland als tiefstes Entwicklungsland für's Frau-Sein

Alles andere als „wohlmeinende Reden“ bekamen etwa 400 Frauen beim Frauenmahl in der Stuttgarter Leonardskirche am Donnerstagabend zu hören. Zum Thema des Abends, wie Leben von Frauen gelingen kann, schlug Ministerpräsidentin Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz in ihrer Tischrede vor, nicht in Teilzeit zu verharren, „da dies perspektivisch keine gute Idee ist.“ Sehr viel kämpferischer skizzierte Bascha Mika, heute Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, das „finstere Entwicklungsgebiet“ Deutschland, in dem zwei Drittel der Frauen die Hausarbeit noch immer alleine machten. Weiterhin skizzierte sie eine Scheidungsrate von 40 Prozent, das falsche Beuteschema, das „Kümmer-Syndrom“ sowie die Angst vor Liebesverlust vieler Frauen. In der Kirche, an gedeckten Tischen sah man Frauen aller Generationen heftig nicken. „Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, haben ein feines Gespür für Hilfe, die gut tut“, sagte Eva-Maria Armbruster von der Diakonie Württemberg in ihrer Tischrede. Ein perfekt organisierter Abend – Frauenmahl mit Tischreden - eine Veranstaltungsform, die in Marburg entwickelt wurde und deutschlandweit Schule macht. Für den reibungslosen Verlauf hatten die Clowninnen um Ariella Pavoni, darunter auch Pfarrerin Petra Fuge aus Groß-Gerau, lange geprobt. In clownesken Auftritten vom Empfang der Frauen bis zu deren Bedienung an den Tischen und in den Stuhlreihen sorgte ihr „spielerischer Umgang mit dem Scheitern“ für viel positive Resonanz. Bei aller „Themen-Schwere“ rund ums alltägliche „Frau-Sein“ hat auch Pfarrerin Petra Fuge, clownesk mit roter Nase und facettenreicher Mimik dafür gesorgt, dass die Stimmung familiär und heiter war. Catharine und Christina Urlaß aus Büttelborn lobten an einem der vorderen Tische, an denen auch jeweils eine der Tischrednerinnen saßen, vor allem die Gespräche über das Gehörte beim Essen.

Sage Nein!  - schaffte es nicht ins Programm

„Fröhlichkeit” war auch das Lebensgefühl der 11-jährigen Melissa Berz aus Büttelborn bei diesem Kirchentag. Ihre Mutter Tanja Berz lobte das Vertrauen ihrer Gastfamilie, bei denen sie während des Kirchentags beherbergt waren, mit Schlüssel fürs Haus und leckerem Frühstück. Sieglinde Helfert aus Griesheim war oft gemeinsam mit ihren ehemaligen Schulkameradinnen Marlene Hartwig und der Dekanatskirchentags-Beauftragten Ursel Kunitsch aus Büttelborn unterwegs. „Sage nein!“ – dieser Liedtext von Konstantin Wecker - ging ihr bei der Heimfahrt nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatten einen beeindruckenden Konzert-Lese-Abend mit Margot Käßmann und Konstantin Wecker erlebt. Trotz aller Prominenz hatte es diese Veranstaltung nicht in das offizielle Programm des Kirchentages geschafft. Der Kirchentag hat die Groß-Gerauer bewegt, mitreißend schön fand auch der 13-jährige Max Loch das Lichtermeer am Eröffnungsabend und die Freude. Die gemeinsamen Abendgebete bei Kerzenschein hatten auch den gastgebenden württembergischen Landesbischof Otfried July beflügelt.

...damit wir klug werden

Das friedliche Miteinander, die Diskussionen und Erkenntnisse nehmen die Kirchentagsbesucher aus dem Dekanat Groß-Gerau nun mit in ihre Kirchengemeinden und auf „ihren langen Weg zu einer gerechteren, einer menschenfreundlicheren Welt“. So formulierte der Landesbischof das „ernsthafte Bemühen, etwas weniger unklug zu sein". „…damit wir klug werden“, ein Vers aus dem Psalm 90 war das Motto des diesjährigen Kirchentags in Stuttgart. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sagte: „Christinnen und Christen bleiben eine entscheidende zivilgesellschaftliche Größe in unserem Land." - Auch wenn der Kirchentag in Stuttgart mit tausenden von Christinnen und Christen aus aller Welt in der ARD-Tagesschau am 7. Juni 2015 abschließend nur eine 20-sekündige Randmeldung wert war.

Heidi Förster Öffentlichkeitsarbeit

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