Von den Erfahrungen der Mitarbeitenden des Zuschauertelefons nach dem ZDF-Fernsehgottesdienst
„Fast wie ein Gespräch an der Kirchentür“
J.Hoffmann
14.04.2020
h_wiegers
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Sonntag, 10.15 Uhr die letzten Töne des musikalischen Nachspiels des ZDF-Fernsehgottesdienstes sind verklungen. Das sonntägliche Fernsehprogramm geht weiter, doch viele Menschen möchten über den Inhalt und den Eindruck, den der Gottesdienst bei ihnen hinterlassen hat, sprechen. Gerade in Zeiten von Corona, in denen vielen der Kontakt zur Außenwelt fehlt – ist dieses Bedürfnis besonders groß.
Um diesen Menschen eine Ansprechmöglichkeit zu bieten, dafür hat das ZDF ein Zuschauertelefon eingerichtet. Von 10.15 bis 19.00 Uhr ist es besetzt. Bei allen drei ZDF-Fernsehgottesdiensten im März und April in der Ingelheimer Saalkirche übernahmen 25 Personen aus der Region, PfarrerInnen, Gemeindeglieder, VikarInnen, KirchenvorsteherInnen und Mitarbeitende des Dekanates Ingelheim-Oppenheim, diesen ehrenamtlichen Telefondienst. Eine „Schicht“ dauert jeweils zwei Stunden.
Feedback auf die Gottesdienste fast durchweg positiv
Martina Schott, Bildungsreferentin im Dekanat-Ingelheim Oppenheim war eine derjenigen, die Telefonate entgegennahmen. Von den mehr als 550 Anrufen, die nach dem Ingelheimer Fernsehgottesdienst vom 29. März 2020 insgesamt beim ZDF eingingen, nahm sie zwischen 14.00 und 16.00 Uhr 31 entgegen. Auch am vergangenen Sonntag versah sie wieder ihren ehrenamtlichen Dienst am Telefon und berichtet: „Es war eine sehr schöne Erfahrung.“ Jeder Anruf sei eine neue Herausforderung, „weil man manchmal auch mit tragischen Lebensgeschichten und der Einsamkeit vieler älterer Menschen konfrontiert wurde.“ Das Feedback auf die Gottesdienste jedoch sei fast durchweg positiv, berichtet sie. „Am Ingelheimer Ostergottesdienst zum Beispiel wurde am meisten die Predigt gelobt“. Die AnruferInnen hätten betont, dass die Predigt der westfälischen Präses Annette Kurschus sie auf neue Gedanken gebracht, ihrer Seele gutgetan und österliche Freude geschenkt hätte.
„Es war eine tiefe Dankbarkeit zu spüren“
„Viele bedanken sich schon allein dafür, dass es diesen Gottesdienst überhaupt gibt“, erklärt Heike Corell, Vikarin in der evangelischen Kirchengemeinde Gensingen-Grolsheim. Die junge Theologin, die wie Martina Schott auch bereits am 23.März am Zuschauertelefon Anrufe entgegennahm, empfand, dass die Menschen insbesondere Ende März vom Ingelheimer Gottesdienst sehr bewegt waren: „Es war eine tiefe Dankbarkeit zu spüren.“ So erlebte es auch die Pfarrerin der Oppenheimer Katharinenkirche, Manuela Rimbach-Sator, die auch nach allen Ingelheimer Fernsehgottesdiensten Telefondienst versah und in dieser Zeit ununterbrochen telefonierte, weil „sofort nach dem Auflegen der nächste Anruf kam“.
Fernsehgottesdienst für viele auch vor Corona sehr wichtig
Helmut Lohkamp, Mitglied des Synodalvorstandes des evangelischen Dekanates Ingelheim-Oppenheim, hat in seinem Arbeitszimmer in Frei-Weinheim beim Annehmen der Zuschaueranrufe festgestellt, dass viele Menschen sehr genau den Gottesdienstablauf mitverfolgen, beobachten und auch das musikalische Programm kommentieren, Fragen zur Predigt haben, oder aber den Gottesdienstablauf noch einmal zugeschickt bekommen möchten. Pfarrerin Rimbach-Sator erlebte auch, dass im Verlauf des Gesprächs nach großem Lob für den Gottesdienst und die Akteure, häufig das Erzählen der eigenen Situation folgte. Was die erfahrene Seelsorgerin Rimbach-Sator schon vorher aus Gesprächen mit älteren Menschen wusste, wurde bei den Telefonaten noch einmal deutlich: Viele der AnruferInnen war es bereits in der Vor-Corona-Zeit unmöglich, andere Gottesdienste zu besuchen, weil sie das Haus nicht mehr verlassen können. „Einmal mehr habe ich erfahren“, so die Pfarrerin, „dass Fernsehgottesdienste viele Menschen erreichen und ihnen guttun.“
„Da ist man auch als Seelsorger gefragt“
Die Mitarbeitenden des Telefondienstes hören von den Sorgen der Menschen, die zuhause abgeschnitten von ihrem familiären Umfeld zu vereinsamen drohen. „Da ist man“, so Helmut Lohkamp, „auch manchmal als Seelsorger gefragt, wenn jemand seinen Kummer loswerden möchte. Aber natürlich verweisen wir, wenn wir spüren, dass hier ein Mensch in großer Not ist, auch auf das Angebot der Telefon- oder Notfallseelsorge“. Johannes Hoffmann, Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Guntersblum, war beeindruckt von dem großen Vertrauen und der Dankbarkeit der Anrufenden: „Es war fast wie ein Gespräch an der Kirchentür nach einem normalen Gottesdienst.“
Ein Stück gelebter Ökumene
Gefragt, aus welchen Regionen die Anrufe kommen, berichten die ehrenamtlich im Telefondienst arbeitenden übereinstimmend, dass sie Anrufe aus ganz Deutschland, von Kiel über Bad Gandersheim, Dresden, dem Erzgebirge, dem Ruhrgebiet, dem Hunsrück bis hin nach Bamberg, Stuttgart und dem Allgäu erhalten haben. „Die meisten der Anrufer“, so Pfarrer Hoffmann, „waren im Rentenalter“, und etwa ein Drittel ist katholisch. Sie schauen regelmäßig den Gottesdienst, egal von welcher Konfession er gestaltet wird. „Das ist doch gelebte Ökumene“, freut sich Helmut Lohkamp, und weiß wie viele seiner ehrenamtlichen KollegInnen jetzt schon: „Wenn in der Ingelheimer Saalkirche der nächste Fernsehgottesdienst stattfindet, mache ich beim Zuschauertelefon auf jeden Fall wieder mit.“