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Worauf konzentrieren?

Feiern wir zuviele Gottesdienste?

Peter WagnerHolger Tampe, Vorsitzender der Dekanatssynode (links) und Prof. Dr. Peter Scherle bei der Sommersynode 2018

Diese Frage bildete den roten Faden zu der provokanten These im Impulsvortrag von Prof. Dr. Peter Scherle, den er auf der Sommersynode des Evangelischen Dekanats Groß-Gerau-Rüsselsheim am 15.6.2018 hielt. Der Herborner Theologieprofessor gab darin Anregungen, worauf sich die Kirche in einer veränderten oder, wie er es nannte, „verflüssigten Gesellschaft“ konzentrieren soll.

Regionen und Gesellschaften verändern sich, sie werden zu einem „Raum der Ströme“ - Ströme des Geldes, der Waren, des Verkehrs, der Daten und der Menschen. Dadurch sind sie weniger greifbar, sie verflüssigen das gesellschaftliche Leben in vielfältiger Hinsicht. Dies hat Auswirkungen auf das Erleben von Räumen, der Zeit, den sozialen und personalen Lebensentwürfen und die Erschließung von Themen. Parallel dazu verflüssigt sich auch die Gestalt der Kirchen. Die Menschen beziehen sich in ihrem Glauben und ihrer Kirchlichkeit nicht auf Organisationsstrukturen (z.B. auf die EKD oder das Dekanat), sondern auf Orte wie Kirchen, Personen, die die Gemeinde repräsentieren, Situationen wie Taufe, Hochzeit oder Trauer oder auf bestimmte Themen. Kirche muss also ansprechbar sein – als Kirche vor Ort, im Chor, in Bibelkreisen oder im ehrenamtlichen Engagement z.B. für Flüchtlinge.

Gesellschaftliche Verflüssigung

Diese Veränderung der Wahrnehmung hat Folgen. Prof. Scherle hat diese Veränderungen in Form von verschiedenen Thesen deutlich gemacht: Angesichts der gesellschaftlichen ‚Verflüssigung‘ wird die Kirche von einer reinen Mitglieder-Organisation zu einem Netzwerk der Gelegenheiten. Gelegenheiten für Mitgliedschaft, Zugehörigkeit, Teilhabe. Kirche ist also nicht mehr nur die Gemeinschaft der Getauften, die Menschen lassen sich nicht mehr eindeutig zuordnen.

Dies führt zur nächsten These: Angesichts dieser Prozesse sollte sich Kirche auf das konzentrieren, wozu sie von Gott gesandt ist. Unser Auftrag ist es, das andauernde und durchdringende Gotteslob zu sichern und zu gestalten, einschließlich seiner heilsamen Bedeutung für die bewohnbare Erde. Was heißt das? Im Gebet Jesu – dem Vaterunser – kommt zur Sprache, was ein christliches Leben ausmacht: die Welt offen halten für Gott und Gott Gewicht geben in der Welt. Solches Beten prägt das christliche Leben im Alltag und fordert die gesellschaftliche Praxis der Kirche heraus. Im Beten gehen wir an die „Grenze“ der Wirklichkeit. Oder, wie es der Schweizer Theologe Karl Barth (1886-1986) einst sagte: „Beten ist eine Kampfhandlung“. Peter Scherle ergänzte: „Seufzen und verzweifelt sein ist die tiefste Form des Gebets.“

Wieviel Gottesdienst braucht das Land?

Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen? „Gott loben im Sozialraum – die Kirche als Netzwerk von Gelegenheiten wahrnehmen.“ Diese Erkenntnis führte dann direkt zur eingangs erwähnten These, dass wir – vielleicht? – zu viele Gottesdienste feiern. Scherle: „Unser Gottesdienst geschieht in Zeiten, die sich ändern. Wieviel Gottesdienst braucht das Land? Hier antworte ich: Monatlich. Im christlichen Feierkalender haben folgende Zeitrhythmen traditionell einen Vorrang: der Morgen, die Woche und das Jahr. Doch die Zeiten haben sich geändert. Seit der Erfindung der elektrischen Beleuchtung ist der Abend kulturell immer wichtiger geworden. Leider hat sich keine nennenswerte wöchentliche liturgische Abendtradition entwickelt. Seit dem Wirtschaftswunder gibt es nicht nur einen Sonntag, sondern ein komplettes, manchmal sogar ein verlängertes Wochenende. Seit den 1970er Jahren heißt der Sonnabend Samstag und ist so nicht mehr vom Sonntag abhängig. Zeitgleich ist der Sonntag nicht mehr der erste Tag der Woche, an dem Jesus auferstand. Stattdessen beginnt die Woche am Montag. Damit hängt der sogenannte Hauptgottesdienst am Sonntagvormittag in der Luft. Er ist nicht mehr das christliche Ritual zum Wochenanfang, sondern er findet mitten am Wochenende statt, welches den Familien zur Regeneration dient.“

Scherles Plädoyer für monatliche Gottesdienste heißt nicht, dass Gottesdienste ausfallen sollen, was kirchenrechtlich auch gar nicht möglich wäre. Mit anderen Formen des Gottesdienstes sind auch ausdrücklich nicht sogenannte Event-Gottesdienste gemeint, sondern mehr geistige und geistliche Tiefe. Es könnten sich z.B. benachbarte Gemeinden zusammentun und – ähnlich, wie die bereits bestehenden Sommerkirchen – im Wechsel gemeinsame Gottesdienste feiern, die ruhig auch mal einen ganzen Tag dauern können – mit gemeinsamen Essen, kulturellem Abschluss und einem Abendsegen. Scherles Thesen für neu gedachte Gottesdienstformen sorgten anschließend für eine angeregte Diskussion unter den anwesenden Synodalen – die mit Sicherheit weitergeführt werden wird.

Peter Wagner
Öffentlichkeitsarbeit Dekanat Groß-Gerau - Rüsselsheim

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