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Flüchtlinge

Fit für den Rechtsstaat

knape/istockphoto.comMann liest Buch

Was sind Föderalismus, Minderheitenrechte, Europäische Union? In neuen Rechtsstaatsklassen sollen Flüchtlinge das demokratische System in Deutschland kennen lernen.

Erwartungsvoll sitzen die Asylbewerber an ihren Tischen, die Stifte bereit, vor sich die weiß-rot-blauen Mappen des Justizministeriums. „Ich freue mich sehr, dass Sie der Einladung gefolgt sind und etwas über den deutschen Staat lernen wollen“, begrüßt der Vizepräsident des Gießener Landgerichts, Patrick Liesching, seine Zuhörer. Vor ihm sitzen neun syrische Flüchtlinge. Sie sind Teilnehmer einer sogenannten Rechtsstaatsklasse, in der sie Grundregeln des deutschen Staates vermittelt bekommen.

Der Unterricht erfolgt in arabischer Sprache

Die Power-Point-Präsentation an der Wand ist auf Arabisch, eine Dolmetscherin übersetzt Lieschings Vortrag. Die Flüchtlinge leben erst seit wenigen Wochen in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen, davor waren sie in Schweden und schon einmal in Deutschland, wurden aber weitergeschickt.

Liesching beginnt: Deutschland ist Teil der Europäischen Union, der zurzeit 28 Staaten angehören, „Tendenz sinkend“. Der Richter klickt weiter, wirft eine bunte Karte mit den 16 Bundesländern an die Wand. Viele Gesetze werden in Berlin gemacht, einige in den Bundesländern, das nennt man Föderalismus. Kann man Flüchtlingen, die gerade erst angekommen sind und die eigentlich andere Sorgen haben, so den deutschen Staat erklären?

Die Teilnahme ist freiwillig

In Gießen startet an diesem Montagmorgen die erste Rechtsstaatsklasse, in anderen hessischen Städten wie Kassel, Wiesbaden oder Fulda ist das Programm schon angelaufen. „Es macht schon Sinn“, sagt der Sprecher des Justizministeriums, René Brosius, dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Es kommt auch bei den Leuten gut an.“ Ziel sei es, 1.000 bis 2.000 Flüchtlinge monatlich zu schulen. Das Programm, das „Fit für den Rechtsstaat“ heißt, umfasst sechs Unterrichtstunden, die an einem Tag absolviert werden. Die Flüchtlinge kommen freiwillig. Am Ende erhalten sie ein Teilnahmezertifikat.

Gleichstellung und Demokratie

„Was stellen Sie sich unter Demokratie vor?“, fragt Liesching seine Zuhörer. Man habe ein „Recht auf freies Reden“, antwortet ein Mann. Ein Foto vom Berliner Reichstag erscheint an der Wand, Liesching erklärt kurz die Geschichte. „Auch Minderheiten haben in Deutschland Rechte“, sagt er. Das gelte in vielen Bereichen, zum Beispiel für die Religion. „Das ist wichtig: dass Sie Ihren Glauben ausüben können, aber auch anderen ihren Glauben lassen.“ Und: Männer und Frauen seien in Deutschland komplett gleichgestellt. 

Da beginnt eine rege Diskussion unter den Asylbewerbern. Er sei seit einem Monat hier, doch er sehe die Rechte nicht, sagt ein Mann. Es gebe oft Probleme mit Gruppen anderer Ausländer, zum Beispiel jetzt im Ramadan, wenn alle gleichzeitig kochen wollten. Oft gehe es sehr laut zu. Es gehe darum, Kompromisse zu finden, betont Liesching.

Flüchtlinge stellen viele Fragen

„Jetzt schauen wir noch mal näher auf das Grundgesetz“, fährt er fort. Ehe und Familie seien geschützt, der Staat dürfe grundsätzlich keine Familien trennen. Da haben die Flüchtlinge Nachfragen: Dürfen sie ihre Familie nachholen? Die Geschwister? Ist deren Aufenthalt befristet? Die Regeln seien zurzeit in der Veränderung, erklärt der Jurist. „Sie dürfen in Deutschland Eigentum haben, demonstrieren, sich versammeln.“ Ob er später ein Haus kaufen könne, fragt jemand. Die Flüchtlinge sind interessiert und wissbegierig: Sitzt ein Imam im Parlament? Muss man als Volksvertreter ein Studium absolviert haben? 

„Es sind viele Sachen, die wir bisher nicht gewusst haben“, erklärt ein Teilnehmer am Ende des Kurses. „Bei uns sind die Rechte anders als hier, und oft stehen sie nur auf dem Papier“, ergänzt seine Frau. Das Gießener Landgericht koordiniert im Raum Gießen die Rechtsstaatsklassen. Dreißig Richter, Rechtspfleger und Staatsanwälte haben sich gemeldet, um ehrenamtlich die Schulungen anzubieten. Das soll möglichst in den Kommunen geschehen. „Wir hoffen, dass die Kommunen das Programm abrufen werden“, sagt Liesching.

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