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Würde von Nutztieren

Fleisch von glücklichen Schweinen?

Bildquelle: © 2018 iStockphoto, vicuschkaRohes RindersteakFleisch gilt schon seit Jahrhunderten als Grundnahrungsmittel. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen stellt sich die Frage: Wie sieht es mit der Würde von Nutztieren aus?

Ein Studientag des Zentrums für Gesellschaftliche Verantwortung fragt danach, was in der Nutztierhaltung vertretbar ist. Sabine und Martin Allmenröder mästen bei Erbach im Odenwald Schweine und fragen sich, ob und wie sie ihren Tieren gerecht werden können. Fertige Rezepte gibt es nicht – auch die Theologie liefert sie nicht. Mit dem Bauernverband geht Martin Allmenröder hart ins Gericht.

Von Nils Sandrisser (Evangelische Sonntags-Zeitung)

Mancher Bodybuilder trainiert sein ganzes Leben für so einen Körper, wie ihn das halbwüchsige Ferkel hat, auf das Sabine Allmenröder zeigt. »An diesem Tier sieht man sehr gut das Zuchtziel«, sagt sie. »Kaum Fett, viel Muskelmasse.« In der Tat schwellen die Muskeln unter der Haut, wenn das Schwein durch seine Bucht auf dem Hof der Allmenröders nahe Erbach im Odenwald läuft. Das Ferkel und seine neun Artgenossen in der Bucht sehen fast so aus, als strotzten sie vor Kraft.

Schweinemüsli vom Computer

In drei Ställen halten die Allmenröders 1800 Schweine. Ihre Ferkel bekommen sie von einem Züchter aus dem Odenwald, nach fünf bis sechs Monaten verlassen die Tiere ihre Buchten in Richtung Schlachthof, etwa 115 Kilo müssen sie dann wiegen. Das Futter bauen die Landwirte selbst an: Gerste, Weizen und Erbsen auf rund 100 Hektar. Aus großen Silos mixt ein Computer  daraus mit Gärresten einer nahen Brauerei und Molke »eine Art Schweinemüsli« zusammen, beschreibt Sabine Allmenröder.

Sie und ihr Mann Martin wirtschaften konventionell, ihr Hof ist mehr auf Effizienz als auf ökologische Standards ausgerichtet. Die Schweine stehen auf Betonspalten ohne Stroh. Zu dem Studientag »Nutztier und Mitgeschöpf« des Zentrums für Gesellschaftliche Verantwortung (ZGW) des Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau bitten sie Besucher in ihre Ställe. In Schutzkleidung mit Mundschutz und Füßlingen aus Plastik – der Hygiene wegen. Botschaft der Allmenröders ist: Wir wollen unsere Schweine so halten, dass wir ihnen gerecht werden. Wir wüssten auch, wie es besser ginge. Aber wir müssen davon leben können.

Aufs falsche Schwein gesetzt

Sabine und Martin Allmenröder erzählen vom bislang letzten Mal, als sie versucht hatten, »rauszukommen aus der konventionellen Massenproduktion« und auf eine Haltung mit Stroh und im Freiland setzten: »Wir hatten einen Abnehmer im Gourmet-Bereich.« 2007 war das. Einige Tiere einer altenglische Rasse hatten sie sich dazu auf den Hof geholt. Aber nach den ersten Probeschlachtungen habe der Abnehmer sehr plötzlich das Interesse verloren. Das Fleisch sei zwar gut marmoriert gewesen, aber zu fett, zu wenig. Die Allmenröders mussten ihre Tiere konventionell vermarkten.

»Es gibt viele Verantwortliche für die derzeitige Situation in der Tierhaltung«, sagt Maren Heincke. »Bauern, Einzelhandel, Fleischverarbeiter, Verbraucher.« Die Agraringenieurin ist Referentin für den Ländlichen Raum im ZGW. Ein Schwarzer-Peter-Spiel will sie nicht spielen, das führe zu nichts und sei außerdem weit weg von der Komplexität der Realität. Heincke hat an dem Impulspapier »Nutztier und Mitgeschöpf! – Tierwohl, Ernährungsethik und Nachhaltigkeit aus evangelischer Sicht« der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mitgearbeitet. Ihr Pub‧likum an diesem Studientag auf dem Hof der Allmenröders ist gemischt: Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, bei Umweltverbänden, bei den Grünen, oder Interessierte und Mitarbeiter aus dem kirchlichen Bereich.

Dreifache Ausbeutung

Zu letzteren gehört auch Sabine Allmenröder. Neben ihrer Arbeit auf dem Hof ist sie Referentin für Gesellschaftliche Verantwortung des Dekanats Bergstraße. Sie zitiert die Enzyklika »Laudato si« des Papstes Franziskus: Tiere seien »Geschöpfe, durch die Gott zu uns spricht«. Man kann nicht sagen, dass die Worte des Papstes in weiten Teilen der Nutztierhaltung handlungsleitend wären. »In den Dumpingpreisen von heute steckt Ausbeutung«, sagt Heincke. »Ausbeutung von Tieren, von Landwirten und der Umwelt.«

Etwa fünf Euro sind es den Worten von Sabine und Martin Allmenröder zufolge, die pro Schwein bei ihnen hängenbleiben. Die Frage, welchen Einfluss er auf die Preise habe, beantwortet Martin Allmenröder denkbar knapp: »Null«. In Zeiten niedriger Preise produzierten die Schlachthöfe am Anschlag und machten sich die Lager voll, erklärt seine Frau. Deshalb wiederum dauere es heute länger als früher, bis höhere Preise bei den Bauern ankämen. Der berühmte Schweinezyklus – also das Auf und Ab der Preise, der früher saisonal war, dauere heute jahrelang, was immer mehr ihrer Kollegen finanziell in die Knie zwinge.

Derzeit hingegen seien die Preise für Schweine recht hoch, weil die Chinesen wegen der Afrikanischen Schweinepest die Hälfte ihres Bestands gekeult hätten und deswegen den Markt leerkaufen würden. Allerdings steht genau jene Schweinepest, die durch Wildsauen übertragen wird, aktuell an den Grenzen Deutschlands. Schafft sie es hierher, dürften massenhafte Schlachtungen auch hierzulande unvermeidlich sein.

Nur zwei Tiere im Quarantänestall

Krankheiten im Stall hätten die Allmenröders im Griff, sagen sie – auch fast ohne Antibiotika. Nur drei bis fünf Prozent seiner Schweine erhielten überhaupt in ihrem Leben eine Antibiose, sagt Martin Allmenröder. Seine Frau Sabine führt die Besucher durch den Quarantäne-Stall. Gerade stehen zwei Tiere darin und blicken die wunderlichen Figuren in Mundschutz und Füßlingen groß an. »Aber es gibt natürlich auch Zeiten, da ist es hier voller«, sagt Sabine Allmenröder.

Die Allmenröders sind Ausbeuter und Ausgebeutete zugleich, und das wissen sie. Er sehe es als legitim an, Tiere zu nutzen, sagt Martin Allmenröder. Er sei so aufgewachsen. Auch Heincke sagt, aus theologischer Sicht gehe die Nutzung von Tieren in Ordnung.

Die Frage ist, wie. Im Stall zeigt Sabine Allmenröder auf Holzblöcke, die an Seilen in die Buchten hineinhängen. Für die Schweine zum Spielen. In anderen Buchten liegen sternförmige Spielzeuge. »Aber insgesamt ist es für sie wohl doch eher langweilig«, vermutet sie.

Auch ihr Mann stelle sich, wenn er in seine Ställe gehe, oft die Frage, ob es in Ordnung sei, wie er das tue. »Wir haben auch einen Kipp-Punkt in der Gesellschaft«, analysiert Martin Allmenröder. »Es wird nicht mehr einfach so akzeptiert, was wir machen. Wir merken, dass die Biodiversität zurückgeht. Wir müssen etwas ändern.« Er habe kein fertiges Konzept dafür, was diese Änderungen sein müssten, gibt der Diplom-Agraringenieur zu. »Vielleicht müssen wir uns irgendwo in der Mitte zwischen Bio und Konventionell treffen. Für eine nachhaltige Landwirtschaft ist die Tierhaltung wichtig, aber nicht in dem Umfang, in dem wir heute Fleisch essen.« Ein Drittel des derzeitigen Bestands an Rindern, Schweinen und Geflügel würde genügen, sagt er, um Grünland zu erhalten und ausreichend organischen Dünger für die Äcker zu produzieren.

Der derzeitige Fleischkonsum macht krank

Ein Drittel bis die Hälfte des heutigen deutschen Fleischkonsums von 60 Kilo pro Kopf und Jahr ist auch ziemlich genau das, was die Weltgesundheitsorganisation WHO als gerade noch gesundheitsförderlich empfiehlt. Alles über 30 Kilo pro Jahr – oder zwei Schnitzeln pro Woche – mehr leistet Herz-Kreislauf- und neurologischen Erkrankungen Vorschub.

Allzu radikal dürfe der Fleischkonsum aber auch nicht sinken, warnt Heincke. Aus zwei Gründen: Landwirte hätten für die derzeitigen Produktionsbedingungen oft langfristige Kredite aufgenommen und bekämen Fördergeld für ihre Anlagen. Müssten sie die schnell außer Betrieb nehmen, müssten sie Geld zurückzahlen und stünden vor dem Ruin. Zudem hingen viele Schwellen- und Entwicklungsländer vom deutschen Fleischmarkt ab, weil sie Getreide oder Soja in die europäischen Futtertröge exportierten. Bräche ihr Absatz weg, wären dort soziale Konflikte die Folge. »Eine Milliarde Menschen weltweit hängt von der Tierhaltung ab«, sagt Heincke.

Mindestens belächeln oder offen kritisieren

Das Klima zwischen überzeugten Fleischessern und Vegetariern hierzulande war auch schon mal besser. Jedenfalls berichten Teilnehmer des Studientags, sie würden mindestens belächelt oder sogar kritisiert, wenn sie in der Runde fleischlos äßen. »Du spinnst«, könne es dann schon mal heißen. Es gebe in Deutschland zwei Bereiche, sagt Heincke, in denen man sich gerne mal persönlich angegriffen fühle, wenn andere ein anderes Modell vorlebten: »Autofahren und Fleischessen.« Das müsse man eben mit Humor nehmen. Keinesfalls dürfe man anderen vorschreiben, wie sie zu leben hätten. Denn das erzeuge im Zweifelsfall bloß Trotzreaktionen.

Umgekehrt bedeute es aber keine Einschränkung der Freiheit, wenn man darauf hinweise, dass der derzeitige Überkonsum von Fleisch weder für die Landwirte noch für die Natur noch für die Konsumenten gesund sei, sagt sie: »Bei einem Konsum von 20 bis 30 Kilo pro Jahr reden wir doch nicht von Askese. Wir reden von einem gesunden Maß.«

Schmale Lippen und harte Worte

Die Politik müsse Rahmenbedingungen setzen, fordert Heincke. Das freie Spiel des Markts habe das derzeitige Oligopol auf dem Schlachthof- und dem Züchtermarkt hervorgebracht, das die Bauern finanziell in die Zange nehme. Auch Martin Allmenröder sieht die Politik in der Pflicht – und den Bauernverband. Als das Gespräch auf diese Standesvertretung kommt, werden seine Lippen schmal und seine Worte hart. »Der Bauernverband pennt«, sagt er. Er verteidige nur den Status quo und habe keine langfristige Perspektive. »Das ist für mich das Schlimmste: zu protestieren, ohne eine Alternative zu haben.«

Der Besuch im Stall hat bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Studientags offensichtlich starre Vorstellungen aufgebrochen. Gut, es sei wie erwartet geruchsintensiv gewesen, sagen einige, aber sie hätten es sich anders vorgestellt. Schlimmer. Aber dennoch hätten sie in »traurige Augen« gesehen, als sie zwischen den Buchten herumgegangen seien. Martin Allmenröder blickt bei diesen Worten vor sich hin. Er widerspricht nicht.

Hintergrund: Weniger Antibiotika

Der Verbrauch von Antibiotika in der Nutztierhaltung ist in den vergangenen Jahren substanziell gesunken. Die Bundesanstalt für Risikobewertung (BfR) beziffert ihn von mehr als 1700 Tonnen im Jahr 2011 auf gut 730 Tonnen im Jahr 2017 – um mehr als 60 Prozent. Die Gabe von Antibiotika in der Tiermast gilt als problematisch, weil sie die Vebreitung von Resistenzen unter Bakterien fördert. Wichtige Medikamente beim Menschen nicht mehr.

Im Jahr 201a hatten nach Zahlen des niedersächsischen Agrarministeriums Puten im Laufe ihres dreimonatigen Lebens durchschnittlich 9,8 Mal eine Antibiose erhalten. Jedes Schwein erhielt im Schnitt 3,4 Mal Antibiotika in einem halben Jahr.

Der Rückgang geht auf strengere Dokumentationsregeln und Beratungspflichten für Landwirte zurück, die einen hohen Antibiotikaverbrauch haben. Allein durch bessere Hygiene lässt sich ein Drittel der Arzneien einsparen.

Der Bauernverband macht geltend, dass Bauern vor allem ältere Antibiotika einsetzen würden, die in der Humanmedizin kaum mehr eingesetzt würden. Diese Argumentation lässt außer Acht, dass einige Bakterien Resistenzen gegen mehrere Stoffklassen auf einmal austauschen können. So verbreiten sich auch beim Einsatz älterer Präparate die Unempfindlichkeit gegen neue.

Die Zahlen in Veterinär- und Humanmedizin sind allerdings schwer vergleichbar. Bei Tieren wird der Verbrauch in Tonnen angegeben. Beim Einsatz neuerer Antibiotika, die weniger Wirkstoffmasse benötigen als ältere, käme es so zu einem Scheinrückgang. Aussagekräftiger wäre es, den Antibiotikaverbrauch in der Landwirtschaft in Tagesdosen anzugeben, wie in der Landwirtschaft üblich. Das geschieht jedoch noch nicht.

Hintergrund: Konzentrierter Agrarmarkt

Nutztierhaltende Landwirte stehen von zwei Seiten unter Druck: Sowohl auf der Seite ihrer Jungtier-Lieferanten als auch auf der ihrer Abnehmer für die schlachtreifen Tiere ist der Markt enorm konzentriert. 80 Prozent des Marktes für Ferkel teilen sich drei Anbieter weltweit, bei Hühnern sind es nur zwei. Drei Konzerne dominieren drei Viertel der Schlachtungen.

Eine zunehmende Zahl von Bauern verkauft ihre Höfe, betreibt sie aber für fremde Eigentümer weiter. Käufer sind unter anderem Schlachthofkonzerne, die somit ihre Kontrolle über die Produktionskette ausweiten.

Hintergrund: Immer noch viel Nitrat im Wasser

In jenen Gegenden Deutschlands, in denen viel Vieh lebt – in Teilen Niedersachsens und Westfalens –, überschreitet die Nitrat-Konzentration im Grundwasser vielerorts die Grenzwerte. Als verantwortlich dafür gilt die Überdüngung der Böden – durch Kunstdünger sowie durch Gülle und Mist. Seit 2017 gilt daher eine neue Düngemittelverordnung.

Seit dem 28. Februar liegt eine erste Bilanz der Verordnung vor. Demnach ist die Nitrat-Konzentration regional immer noch zu hoch, aber mit sinkender Tendenz. Es gibt zwar nicht weniger Tiere und deshalb nicht weniger Gülle, aber sie wird nun besser verteilt. Die Bauern benötigen nun weniger Kunstdünger.

Der Bauernverband bemängelt, seine Mitglieder fühlten sich durch die Düngemittelverordnung gegängelt. Er zweifelt viele der Nitrat-Messwerte des Grundwassers an.

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