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Bildband zu Thema veröffentlicht

Heimkinderschicksale: „Wir wollen daraus lernen“

EKHNAus der Dokumentation zur Aufarbeitung der Heimkinder-Schiacksale der EKHN, 2018Aus der Dokumentation zur Aufarbeitung der Heimkinder-Schiacksale der EKHN, 2018

Bis in die 1970er Jahre hinein bedeutete ein Leben im Heim häufig ein „Leben ohne Kindheit“. Das ist eine der vielen Erkenntnisse, die der neue neue Bildband zu den Heimkinder-Schicksalen in der Nachkrigszeit enthält. Jetzt ist das über 70 Seiten starke Werk erschienen. Mit bedrückenden Einsichten.

EKHNDokumentation Heimkinder 2018Dokumentation Heimkinder 2018

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat die Dokumentation „Kinder in Heimen von 1945 bis 1975“ veröffentlicht. Auf 72 Seiten zeigt der großformatige Bildband die bedrückende Situation in den Einrichtungen der Nachkriegszeit. In 16 Kapiteln arbeitet das Buch unter anderem auf, wo es im Einzugsbereich Hessen-Nassaus Heime mit Beziehungen zur evangelischen Kirche gab. Der Band thematisiert viele Aspekte der Heimerziehung, auch den nicht selten menschenverachtenden Umgang mit den Betroffenen. Bis in die 1970er Jahre hinein bedeutete ein Leben im Heim häufig ein „Leben ohne Kindheit“.

Auf Spurensuche

Die Dokumentation entstand als Begleitpublikation zu einer Wanderausstellung. Buch und Ausstellung fragen danach, warum Heime seinerzeit als „totale Organisation“ funktionierten und sie sich systematisch von der Außenwelt abschotteten. Die Veröffentlichung blickt schließlich auch auf die Nachwirkungen der Nazizeit in der noch jungen Bundesrepublik und zieht Folgerungen aus dem damaligen Geschehen für die aktuelle Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Dabei stellt die im Wesentlichen von der Darmstädter Historikerin Anette Neff erarbeitete Dokumentation als eine der wichtigsten Erkenntnisse heraus, dass heute individuelle und institutionelle Aufarbeitung zusammentreffen müssen mit dem Ausbau einer konsequenten Präventionsarbeit.

Bitte um Verzeihung

Im Vorwort bittet der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung ehemalige Heimkinder wegen des ihnen vielfach zugefügten Leids um Verzeihung. Er dankte zugleich dafür, dass sich viele Betroffene geöffnet und ihr jahrelanges Schweigen gebrochen hätten. So habe er Menschen kennengelernt, deren „Kindheit entsetzlich“ war. Ihnen sei Vertrauen geraubt und Chancen zur Entwicklung genommen worden. Jung: „Wir wollen daraus lernen.“

Gespräch mit Zeitzeugen

Vor allem die Zeitzeugengespräche hätten „auf nachdrückliche Weise vor Augen geführt, welche Konsequenzen das Außerachtlassen von Wertvorstellungen, fehlende Sensibilität im Umgang mit Schutzbefohlenen, keine Achtsamkeit für Grenzen und Grenzverletzungen, fehlende Fachlichkeit, keine ausreichende personelle Ausstattung und Begleitung haben“, erklärt die Leiterin des Aufarbeitungsprojektes Petra Knötzele. Daraus könne die EKHN lernen, „sich für Kinder und andere Schutzbefohlene einzusetzen“, sagte die Juristin. Kinder und Jugendliche, die kirchliche und diakonische Angebote nutzen, sollten „auf einen Schutzraum treffen, in dem sie sich entfalten können, Förderung und Anerkennung erfahren, mit ihren individuellen Möglichkeiten wertgeschätzt werden“, so Knötzele.

 

Hintergrund Aufarbeitung der Heimkinderschicksale

Aufarbeitung

Im Nachgang zur öffentlichen Bitte um Verzeihung von evangelischer Kirche und Diakonie aus dem Jahre 2011 an die ehemaligen Heimkinder hatte sich die hessen-nassauische Kirche um intensive Hilfestellungen für Betroffene bemüht. Im Zentrum standen außerdem vertiefte historische Recherchen durch die Darmstädter Historikerin Anette Neff, um als Institution selbst mehr über die Rolle der Heime und die Situation der Heimkinder zu erfahren. Dazu entstanden unter anderem ein Dokumentarfilm und eine Wanderausstellung, die vor allem in der Ausbildung genutzt werden sollen, aber auch für öffentliche Veranstaltungen. Mit dem Erscheinen der Begleitpublikation zur Wanderausstellung findet das Projekt der hessen-nassauischen Kirche zur Aufarbeitung der Heimkindersituation im Kirchengebiet einen vorläufigen formalen Abschluss.

Konsequenzen

Durch die Auseinandersetzung mit den Heimkinderschicksalen ist für die hessen-nassauische Kirche nochmals deutlich geworden, wie wichtig es bleibt, dass individuelle und institutionelle Aufarbeitung mit einer Präventionsarbeit zusammen treffen, die ihre Nulltoleranzmaxime durch eine Sexual-Pädagogik unterstreicht, die sprachfähig macht. Sie soll damit Kinder und Eltern, aber auch das Umfeld, wie zum Beispiel Kolleginnen und Kollegen befähigen, Grenzverletzungen anzusprechen. Es braucht nach den EKHN-Erkenntnissen außerdem innerhalb und außerhalb von Institutionen bekannte Ansprechpartner, um dem Verdacht von grenzüberschreitendem Verhalten nachzugehen. Eine Erkenntnis ist auch, dass Belastungen durch überlange Verfahren durch die Ausweitung von Ermittlungskapazitäten reduziert werden müssen, damit Strafverfolgung auch abschreckend und genugtuend wirken kann. Schließlich sei es auch wichtig, dass die anstehende staatliche Opferentschädigungsreform Verbrechensopfern endlich zu ihrem Recht verhilft.

 

Mehr Informationen

Die Dokumentation „Kinder in Heimen von 1945 bis 1975“ ist im Buchhandel sowie Ansichsexemplare kostenfrei direkt bei der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau erhältlich. Der Erlös von Verkäufen aus dem Buchhandel kommt der Heimkinderarbeit zugute.

Ansichtsexemplare kostenfrei anfordern

E-Mail: info@ekhn.de
Telefon 06151 / 405 287

Mehr Informationen zum Thema auch online:
https://unsere.ekhn.de/themen/heimkinder.html

Bibliographische Angaben

„Kinder in Heimen von 1945 bis 1975“, Hg. im Auftrag der Kirchenleitung der EKHN von Anette Neff in Verbindung mit Petra Knötzele und Peter Röder, Justus von Liebig Verlag, Darmstadt 2018, 72 Seiten, 14,80 Euro. (ISBN 978-3-87390-414-9).

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