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Kultur für Flüchtlinge am Amazonas

Ralf WeissensteinNoch hat der Chor kein eigenes Haus für die Proben mit FlüchtlingskindernNoch hat der Chor kein eigenes Haus für die Proben mit Flüchtlingskindern

Er setzt sich für Flüchtlinge ein, die wir hier kaum wahrnehmen: Venezolaner verlassen in Scharen ihr Land. Der EKHN-Pfarrer Ralf Weissenstein bringt Flüchtlingskindern im armen Norden Brasiliens Kultur nahe – und eine Perspektive.

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130 Teilnehmer hat das Kinderkulturprojekt von Pfarrer Weissenstein und seinen Mitstreitern Noch hat der Chor kein eigenes Haus für die Proben mit Flüchtlingskindern Probe mit den Jugendlichen Der Chor gibt auch Konzerte

Ralf Weissenstein lebt in einem heißen Klima: Die Kleinstadt Pacaraima liegt im äußersten Norden des brasilianischen Amazonasgebiets an der Grenze zu Venezuela, wo die Lebensbedingungen immer härter werden. „Prinzipiell sind die Brasilianer solidarisch mit den Venezolanern, die ihr Land verlassen, weil sie hungern, keine medizinische Versorgung haben oder politisch verfolgt werden“, erzählt Weissenstein. „Es gibt eine große Hilfsbereitschaft seitens der Brasilianer gegenüber den Flüchtlingen. Aber es gibt zunehmend auch Probleme.“

Gewalt und brennende Zelte 

Denn auch der Bundessstaat Roraima, in dem Pacaraima liegt, ist arm und hat insgesamt nur gut 500.000 Einwohner. „Alle Flüchtlinge kommen hier an“, sagt Weissenstein. Manche – die wenigen qualifizierten Arbeitskräfte– würden vom Staat in andere Bundesländer weitergeleitet. Bleiben würden nur die unqualizifierten Arbeitskräfte und die Armen. Nach Angaben des Spiegels haben seit 2017 allein 127.000 Venezolaner ihr Land Richtung Brasilien verlassen, Tausende campieren in Zeltlagern in Nähe der Kleinstadt Pacaraima, die selbst keine 5.000 Einwohner hat. Nur wer in einem Lager lebt, erhält medizinische Betreuung, Lebensmittel und Artikel zur Körperpflege. „Oft werden die venezolanischen Arbeitskräfte ausgebeutet. Viele halten sich mit informellen Tätigkeiten finanziell über Wasser.“ Auch die Kriminalität (Einbrüche, Diebstähle, Vergewaltigungen und Morde) habe stark zugenommen. „Hier in Pacaraima wurden schon mehrere Geschäftsleute von Venezolanern umgebracht.“ Dies habe dazu geführt, dass Mitte August eine Demonstration für mehr Sicherheit und geordnete Zuwanderung in Gewalt umschlug. Laut dpa haben die Zelte von rund 2000 Flüchtlingen gebrannt.

Kultur für alle – unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Portemonnaie

Hier engagiert sich der deutsche Pfarrer im Ruhestand in der Kulturvereinigung „Associação Cultural da Amazônia” (ASCCAM) – Embaixadores da Paz (Kulturelle Vereinigung Amazoniens – Botschafter des Friedens)“. Sie verfolgt das Ziel, jungen Menschen und Interessierten unabhängig von Religionszugehörigkeit oder Glaubensüberzeugung und Herkunft eine künstlerisch-musikalische Ausbildung zu gewähren. Den Verein gibt es seit 1997, doch aufgrund der sich seit Mitte 2016 enorm verschärfenden politischen und wirtschaftlichen Krise im Nachbarland Venezuela und der wachsenden Zahl von indigenen und nicht-indigenen Migranten aus dem nördlichen Nachbarland liegt seit gut 2 Jahren der Fokus des Projektes auf den venezolanischen Flüchtlingen. „Ein besonders schönes und bewegendes Erlebnis war der Auftritt des Kinderchores in dem hiesigen Flüchtlingslager“, erzählt der Weissenstein. „Den 450 dort lebenden indigenen Flüchtlingen haben die Lieder und musikalischen Beiträge sehr gefallen.“

137 Teilnehmer haben Weissenstein und seine Mitstreiter, 60% davon sind Kinder und Jugendliche aus venezolanischen Flüchtlingsfamilien. Die anderen sind Frauen, meist die Mütter der Kinder, die überwiegend im Flüchtlingslager von Pacaraima leben.

Musik, Sport, Essen und Vergessen

Jeden Tag können die Kinder und Jugendlichen sechs Stunden lang an den Projektaktivitäten teilnehmen. Von Montag bis Samstag, von 12 Uhr bis 18 Uhr, gibt es neben einer musikalischen Grundausbildung und den Chorproben auch ein warmes Mittagessen und die Möglichkeit, zu spielen und Sport zu treiben. Dabei sollen die Flüchtlingskinder ihre negativen Erfahrungen der Vergangenheit und insbesondere die teilweise traumatischen Erfahrungen der Flucht verarbeiten und sich emotional stabilisieren.

Für die Frauen und Mütter gibt es die Möglichkeit zu Einzel- und Gruppengesprächen. Außerdem werden sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit unterstützt mit Nähkursen und einer Grundausbildung zur Herstellung von Salzgebäck und anderen Lebensmitteln, die sich für den Straßenverkauf eignen. 

Der Traum: Eine solide Finanzierung und ein Musikhaus mit Schule. Küche und Speisesaal

Das alles geschieht auf dem Gelände, auf dem auch die Chorleiterin lebt. Es bestehen aber die Absicht und der Wunsch, die Projektaktivitäten auszuweiten, ein Grundstück zu erwerben, auf dem neben dem Musikhaus, der „Casa de Musica“, auch eine Schule sowie eine Küche und ein Speisesaal eingerichtet werden. Derzeit werden die Kosten des Projekts (Anschaffung von Instrumenten, Kauf von Nahrungsmitteln und Personalkosten) durch Spenden des UNHCR, der Regionalregierung des Bundesstaates Roraima sowie von Privatpersonen ermöglicht. Doch unabhängig vom Geld erklärt Weissenstein: „Am meisten wünsche ich mir, dass die Kinder sich durch die Projektaktivitäten körperlich stärken und psychisch stabilisieren, um ihren Weg in die Zukunft selbstbewusst gehen zu können.“

Zur Person:

Ralf Weissenstein ist Pfarrer der EKHN und war in der Dreifaltigkeitsgemeinde Frankfurt und in der Kirchengemeinde Dudenhofen im Dekanat Rodgau tätig. Außerdem hat er acht Jahre im Auftrag der EKD als Gemeindepfarrer in der Evangelischen Kirche lutherischen Bekenntnisses in Brasilien verbracht und war fünf Jahre lang Regionalkoordinator der Landpastorale im brasilianischen Amazonasbundesstaat Roraima. Hier hat er unter anderem Kurse für das Konfliktmanagement und zur Ausbildung ländlicher Führungskräfte erarbeitet und durchgeführt. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er mit Kleinbauern und Landarbeitern zusammengearbeitet und die Kleinbauern auch in Landkonflikten unterstützt. Seit Mitte 2016 ist er im Ruhestand und lebt mit seinem brasilianischen Lebenspartner in Pacaraima im Bundesstaat Roraima.

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