Jahresrückblick der Evangelischen Psychologischen Beratungsstelle warnt
Lernschwierigkeiten und Konflikte in den Familien nehmen zu
O.Jacobsen-Vollmer
10.05.2021
h_wiegers
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Zurück zu blicken lohnt sich immer – ganz besonders, wenn es darum geht, Entwicklungen nachzuverfolgen und deren Ursachen aufzuspüren. Auch für die Evangelische Psychologische Beratungsstelle (epb), die Familien auch auf dem Gebiet des Landkreises Mainz-Bingen Hilfen bei der Bewältigung von Problemen und Konflikten bietet, ist dies ein wichtiger Beweggrund, jedes Jahr einen Jahresrückblick herauszugeben.
Weil der Ausbruch der Sars-CoV-2-Epidemie in Deutschland im Jahr 2020 dazu geführt hat, dass sich viele Schwierigkeiten innerhalb von Familien, aber auch soziale und schulische Probleme von Kindern und Jugendlichen noch zugespitzt haben, legt der Jahresrückblick 2020 der epb hiervon ein besonders beredtes Zeugnis ab, insbesondere, weil mit ihm auch die Statistik die Beobachtungen des epb-Teams wissenschaftlich untermauert wird.
Eine besonders negative Folge für Kinder und Jugendliche hat die Pandemie für den Leiter der epb-Beratungsstelle für die Stadt Mainz und den Landkreis Mainz-Bingen, den Diplom Psychologen und Systemischen Paar- und Familientherapeuten Olaf Jacobsen-Vollmer, im schulischen Bereich. So kristallisierte sich 2020 deutlich heraus, dass die für viele Kinder und Jugendliche erschwerte Lernsituation durch das Home-Schooling zur Folge haben wird, dass sich vorher schon bestehende Lerndefizite und ein oftmals damit kombiniertes dysfunktionales Lernverhalten in dieser Zeit noch potenziert hat. „Wir hatten 2020 viel mehr Anfragen von Eltern, deren Kinder Lernprobleme haben. Das vermeidende Lernverhalten wurde durch das Homeschooling leider in der Regel noch verstärkt eingeübt und ist schwer einzustellen.“ Diesen Trend wieder rückgängig zu machen, das stellt für Jacobsen-Vollmer eine der großen Herausforderungen der Nach-Corona-Zeit dar.
Was in den Medien bereits vielfach nachzulesen war, beobachten auch die Fachleute des epb aufgrund der Lockdown-Situation während der Pandemie auch: Eine enorme Zunahme von Ängsten und depressiven Verstimmungen bei Kindern und Jugendlichen und auch von Konflikten in den Familien. Erschreckend ist es, im Jahresbericht nachzulesen, dass familiäre Konflikte oft eskalieren und auch immer mehr Kinder bzw. Jugendliche ihren Eltern gegenüber gewalttätig werden. Das epd-Team führt dieses Phänomen zum einen darauf zurück, dass die Kinder aufgrund der erzwungenen sozialen Abstinenz während der Pandemie – ihnen fehlt der Umgang mit Freund*innen und Schulkamerad*innen – in einem immer stärkeren Spannungsfeld zu ihren Eltern stehen.
Gleichzeitig sorgt ein wachsender, z. T. kaum kontrollierter Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen für eine größere Eskalationsbereitschaft gegenüber den Eltern. „Häufig blieb es“, so heißt es im epb-Bericht 2020, „nicht bei verbalen Attacken gegen die Eltern, sondern es kam auch zu körperlichen Angriffen. In manchen Fällen musste sogar die Polizei gerufen werden.“ Ein beängstigender Trend, dem sich die epb mit ihrem Beratungs- und Aufklärungsangebot entgegenstellt.
In Bezug auf die Durchführung der Beratungen wirkt sich Corona übrigens ausnahmsweise positiv aus, denn viele von ihnen fanden, seitdem die Pandemie den persönlichen Umgang der Menschen beschränkt, in Form von „Blended Counselings“ statt, d. h. die Beratungen finden über gesicherte Mailverbindungen, am Telefon oder über gesicherte Videoportale statt. „Das bietet in mancherlei Hinsicht Vorteile“, so der epb-Leiter Jacobsen-Vollmer, „denn wenn die Eltern räumlich getrennt leben, lassen sich schneller Termine finden. Und gerade bei strittigen Personen macht die räumliche Distanz das Beratungs-Setting einfacher.“ Und auch wenn diese Form der Beratung nicht in jeder Hinsicht von Vorteil ist, wenn es z. B. gilt, die Gefühlsausdrücke der zu Beratenden genau wahrzunehmen, so ist sich Jacobsen-Vollmer doch sicher, dass „dies etwas sein wird, was über die Pandemie hinaus seinen Platz haben wird.“