Forschung zu Niemöller
Niemöller und der Kopfsprung vom Drei-Meter-Brett
EKHN/RahnEin Mann - viele Facetten: Martin Niemöller. Tagung zum 125. Geburtstag 201707.03.2017 vr Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
EKHN/Torsten FriedrichTagung zu 125 Jahren Martin Niemöller 2017 in der Diakoniekirche DarmstadtDarmstadt, 6. März 2017. Bis heute gilt die Frage „Was würde Jesus dazu sagen?“ vielen in der Kirche als Leitsatz. Er stammt von Martin Niemöller, dem streitbaren protestantischen Theologen, der von 1947 bis 1964 auch der erste Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) war. Anlässlich seines 125. Geburtstages lud die evangelische Kirche jetzt zur Tagung „Martin Niemöller nach 1945– Erbe und Auftrag“ nach Darmstadt in die Diakoniekirche ein.
Vom Menschen her denken
Nach Ansicht des amtierenden hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Volker Jung trägt die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau die „DNA von Martin Niemöllers Gedanken“ in sich, wie er bei der Tagung mit rund 80 Teilnehmenden sagte. Dazu gehöre etwa, „konsequent Verantwortung in der Welt wahrzunehmen“ und sich bei aktuellen Fragestellungen zu Wort zu melden. Als Beispiel nannte er die Flüchtlingsfrage, bei der sich Niemöller auch heute konsequent zu Wort gemeldet hätte. Es habe Niemöller ausgezeichnet, dass er immer von den Menschen her gedacht und die Frage „Was würde Jesus dazu sagen?“ zum Ausgangspunkt aller Überlegungen gemacht habe, erklärte Jung.
Provokation um der Sache willen
Auch der besondere "Geist", die eine oder andere Kontroverse zu pflegen, sei Hessen-Nassau mit Niemöller in die Wiege gelegt, so Jung. Dies sei zugleich eine Tugend, die im Wahljahr mit vielen bevorstehenden und befürchteten politischen Provokationen noch hilfreich sein könne. Gleichwohl habe Niemöller zu Lebzeiten niemals um der öffentlichen Wirkung willen polarisiert. Ihm sei es immer um die Sache und die Menschen gegangen. Dies sei ein entscheidender Unterschied zu manch aktueller Fake-News.
Mörder-Aussage wirkt bis heute
Nach Worten des Militärbischofs der Evangelischen Kirche in Deutschland, Sigurd Rink, hat Niemöllers negatives Urteil über Soldaten - die junge Armee der 1950iger Jahre habe er als hohe Schule von Berufsverbrechern tituliert - bis heute Auswirkungen auf das Verhältnis der Bundeswehr zur evangelischen Kirche. Aus der Zeitgeschichte und der Debatte um die Remilitarisierung sei Niemöllers Fundamentalkritik aber zu verstehen. Für den Theologen und früheren Soldaten sei nicht begreifbar gewesen, wie wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen tiefgreifenden Zerstörungen über eine Wiederbewaffnung Deutschlands nachgedacht werden konnte. Rink verlieh seiner eigenen Skepsis über die aktuelle Rüstungsentwicklung wie beispielsweise durch die Erneuerung der nuklearen Arsenale der USA Ausdruck. „Ich vermisse die Stimme der Friedensbewegung“, so Rink.
Offizieshälfte im Atomzeitalter abgelegt
Der evangelische Theologe und Niemöller-Biograph Michael Heymel bezeichnete Niemöllers Wandlung vom Marieneoffizier zum radikalen Pazifisten als „mühevollen Weg.“ Seine fast achtjährige Haft im Konzentrationslager sei dafür mit entscheidend gewesen. Hinzu sei 1954 ein Gespräch mit führenden Atomphysikern in Wiesbaden gekommen. Dies habe dem Soldaten alter Schule endgültig die Augen für das Vernichtungspotenzial moderner Nuklearwaffen geöffnet. „Danach hat er seine Offiziershälfte abgelegt“, erklärt Heymel.
Mit 80 vom Drei-Meter-Brett
Martin Niemöllers Enkel Christian warf auch einen sehr persönlichen Blick auf den „tempramentvollen und emotionalen“ Theologen. Vor allem seine „Gradlinigkeit“ habe er an seinem Großvater bewundert, gestand Christian Niemöller. Angesichts der zunehmenden Polarisierung in der Politik könne man in öffentlichen Debatten von der Klarheit des großen Kirchenmanns lernen. Er erzählte aber auch vom Familienmensch Niemöller, der kein Familienfest verpasste und der im Alter von 80 Jahren seinem Enkel im Schwimmbad Kopfsprünge vom Drei-Meter-Brett beibrachte. Niemöller über Niemöller: "Angst kannte er nicht."
Tagung mit Studierenden
Die Tagung hatte mit einem offenen wissenschaftlichen Workshop begonnen. Dabei trafen Studierende der evangelischen Theologie an der Frankfurter Goethe-Universität um den Kirchenhistoriker Markus Wried auf Wissenschaftler und Kenner von Martin Niemöller. Die Studierenden hatten sich in den vergangenen beiden Semestern intensiv mit der Person Martin Niemöller beschäftigt. Vor allem im Zentralarchiv der hessen-nassauischen Kirche analysierten sie Quellen, um den vielen Facetten des Theologen auf die Spur zu kommen. Sie fragten in Workshops nach den internationalen, zeitgenössischen und politischen Wechselwirkungen, die sich ausgehend von der theologischen Positionierung Martin Niemöllers entwickelten. Sie traten zugleich in den Dialog mit Experten, die gemeinsam versuchten, die aktuelle Relevanz des Denkens von Niemöller herauszuarbeiten. Die Ergebnisse sollen in Kürze präsentiert werden.
Hintergrund Martin Niemöller (1892-1984)
Martin Niemöller war von 1947 bis 1964 der erste Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und prägte sie mit seiner Persönlichkeit maßgeblich. Er gilt zudem als einer der profiliertesten kirchlichen Gegner der Naziherrschaft in Deutschland und überlebte einen achtjährigen Aufenthalt im Konzentrationslager. Nach der Gründung der Bundesrepublik protestierte der frühere U-Boot-Kommandant vehement gegen die Wiederbewaffnung des Landes und begleitete die politische Entwicklung Deutschlands bis zu seinem Tod 1984 immer wieder kritisch. Martin Niemöller stellte sein Handeln dabei stets unter die vielfach bekannt gewordene Leitfrage „Was würde Jesus dazu sagen?“.
Veranstaltende der Tagung
Prof. Dr. Friedrich Battenberg, Hessische Kirchengeschichtliche Vereinigung
Kirchenarchivdirektor Holger Bogs, Zentralarchiv und –bibliothek der EKHN
Oberkirchenrat Dr. Franz Grubauer, Evangelische Stadtakademie Darmstadt
Dekanin Ulrike Schmidt-Hesse, Evangelisches Dekanat Darmstadt-Stadt
Prof. Dr. Markus Wriedt, Professor für Kirchengeschichte am Fachbereich Ev. Theologie, Goethe-Universität Frankfurt
Mehr Informationen
Zentralarchiv der EKHN
Tel: 06151/405-676
Mail: zentralarchiv@ekhn-kv.de