Digitalisierung und Menschenwürde
Mensch und Maschine in der Pflege
bbiew16.11.2018 bbiew Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
bbiewProf. Dr. Stefan Heuser: „Wir müssen neu darüber nachdenken, was Pflege von Menschen durch Menschen ausmacht."Das Evangelische Dekanat Bergstraße hatte den Sozialethiker der Evangelischen Hochschule Darmstadt als Referenten nach Bensheim eingeladen. Heuser gab keine fertigen Antworten, sondern arbeitete im Dialog mit den Besuchern Fragestellungen heraus, die zu einem sensiblen Umgang mit der Digitalisierung und Vernetzung in der Pflege anregen sollen.
Roboter und Emotionen
Beispiel Paro. Das ist ein Pflegeassistenz-Roboter, der unter anderem in einem Seniorenheim in Bad Homburg im Einsatz ist. Es handelt es sich um eine Nachbildung eines Sattelrobben-Babys. Der große Kopf und die runden, feuchten Augen sollen positive Emotionen hervorrufen. Paro reagiert darauf, wie er behandelt wird. Streichelt man ihn, fiept er wohlig, schlägt man ihn, schreit er herzzerreißend. Die Robbe soll vor allem bei der Betreuung von Menschen mit starker Demenz helfen, die auf Paro überwiegend positiv reagieren.
„Das subjektive Wohlbefinden beruht auf einer Täuschung“, betonte Heuser. Menschliche Zuwendung werde durch einen Roboter ersetzt, der als solcher nicht erkannt werde. Paro täusche Emotionen vor. „Haben vorgetäuschte Emotionen ethisch eine andere Qualität als echte? Dürfen wir Menschen täuschen, wenn es ihnen gut tut? Oder anders gefragt: Ist eine Lüge eine Lüge, wenn sich niemand belogen fühlt“, so Heuser, der sein Unbehagen deutlich machte. „An dementiell Erkrankten werde eine Täuschung exerziert. Das ist nicht in Ordnung.“ Menschenwürde habe immer mit Selbstbestimmung zu tun. Wenn Menschen etwas vorgegaukelt werde und sie keine Kontrolle mehr hätten, sei das das Gegenteil von Selbstbestimmung.
Roboter und Getränkeservice
In der Pflege ist es nach Angaben von Professor Heuser Konsens, dass Roboter Pflegekräfte nicht ersetzen, sondern ihnen assistieren sollen. Doch ist diese Trennlinie praktisch immer einzuhalten? Der mobile Kiosk-Roboter Mio kann bettlägerigen Patienten auf Bestellung z.B. ein Kaltgetränk oder einen Snack bringen. Pflegekräfte haben dadurch mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe, die Pflege. Andererseits verhindert der Einsatz von Mio menschliche Zuwendung etwa bei den Tür-Angel-Gesprächen zwischen Pflegekraft und Patient, die gerade bei der Essens-und Getränkeausgabe geführt werden können.
Roboter und Pflegenotstand
„Die Pflege ist eingebettet in die Gesamtdynamik der Digitalisierung und Vernetzung“, betonte Heuser. Die Europäische Union habe Förderprogramme für die Robotik in der Pflege aufgelegt. Der Ruf nach Robotern erfolge in einer Zeit des Fachkräftemangels. „Das sollte uns argwöhnisch machen“, meinte der Sozialethiker. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird laut einer neuen Studie im Jahr 2035 in Hessen um mehr als ein Drittel zunehmen. Bundesweit steigt die Zahl der Betroffenen demnach auf vier Millionen Menschen an. Das sind rund eine Million Menschen mehr als im Jahr 2015. Derzeit steigt die Zahl der Pflegekräfte zwar an, doch langsamer als der Bedarf. Bis 2035 müssten eine halbe Million Pflegekräfte zur Verfügung stehen. Das sind laut Studie rund 44 Prozent mehr als heute.
Roboter und Einsamkeit
Zugleich betonte Heuser, dass es momentan eher eine „gefühlte“ Präsenz von Robotern in der Pflege gebe, die autonom ohne menschliche Intervention Aufgaben übernehmen könnte Die Realität sehe aktuell noch anders aus. Als Beispiel nannte er den Versuch am Markus-Krankenhaus in Frankfurt einen Roboter zu entwickeln, der Menschen empfängt und sie dort hinbringt, wo sie hinwollen. Weil er niemand anrempeln solle, halte er in den Gängen immer an, sobald ihm Menschen über den Weg laufen. „Nicht nur ich habe Zweifel, ob dieser Roboter jemals ankommen wird“, sagte Heuser.
Die Verknüpfung von Mensch und Maschine gilt als eine Technologie gegen Einsamkeit. Der Subtext, so Heuser, laute: Selbst wenn du einsam bist, bist du nicht allein. „Wir müssen neu darüber nachdenken, was Pflege ist und was Pflege von Menschen durch Menschen ausmacht“, forderte der Sozialethiker. Dazu diente die Veranstaltung. „Wir gehen mit vielen Fragen nach Hause, über die wir intensiv nachdenken sollten“, resümierte Dekan Arno Kreh, der gemeinsam mit Präses Dr. Michael Wörner die Veranstaltung moderierte. Sie war Teil der Reihe „Glauben-Leben-Fragen“, mit der das Evangelische Dekanat Bergstraße das Gespräch mit engagierten Christen und Verantwortungsträgern aus Kirche und Gesellschaft sucht.