Initiative 55 +/- im Dekanat Nassauer Land setzt Buchprojekt um
Mundart mit modernen Medien lebendig halten
B.-Chr. Matern
23.06.2023
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BETTENDORF/RHEIN-LAHN. Armin Wilhelm aus Bettendorf spricht viele Sprachen. Nicht solche, die heute in aller Welt zu hören sind, sondern jene, die in seiner unmittelbaren Nachbarschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Verständigung dienten, seiner „Moddersprooch“. Jetzt ist ein gebundenes Buch von ihm erschienen. Es bewahrt die Mundart des Einrichs vor der Vergessenheit und ist gleichzeitig eine umfassende Sammlung von Anekdoten und Gedichten aus Wilhelms Heimat, die der Autor nicht nur aufgeschrieben, sondern auch eingesprochen hat.
„Geschriwwe wie geschwetzt unn Geschwetzt wie geschriwwe“ lautet der vielsagende Titel des 280 Seiten starken Werkes mit der auch in „Huuuchdäjtsch“ verständlichen Unterzeile „Geschichten und Gereimtes aus dem Nassauer Land“. Ermöglicht hat es die Initiative 55plus-minus im evangelischen Dekanat Nassauer Land. Wilhelm zählt unter anderem mit seinen Mundart-Vorträgen schon lange zu einem beliebten Gastgeber im jährlich zig Interessen abdeckenden Jahresprogramm der Initiative. Nachdenkliches, Besinnliches und Amüsantes aus Wilhelms Feder und Mund hat nicht nur in der Initiative schon viele Nachmittage bereichert. Deren Sprecher Dieter Zorbach aus Bornich stellte Wilhelm einmal die Frage: „Könnte man aus den fliegenden Blättern nicht ein Buch machen?“. Das war, noch vor Beginn der Corona-Pandemie, der Projektstart.
Flugs fanden sich wie in der Initiative üblich fachkundige Interessierte, die die Idee in die Tat umsetzten. Eine Sisyphus-Arbeit, wie Zorbach unterstreicht. So sorgte Dorothee Ott fürs Layout des Werkes. Sohn Arne Wilhelm sowie Erwin Keuper, Horst Fries und Reimond Heuser („Ich bin als Kind noch in die Bach und nicht in den Bach gegangen“) sorgten mit Leidenschaft und neuen Medien dafür, dass die Dialekt-Schreibe sowohl zu Augen als auch Ohren kommt. Keuper etwa wandelte Wilhelms handgeschriebene Texte ins Digitale um – in Mundart eine besondere Herkulesaufgabe. Der Clou: Zum Buch gehört eine CD dazu. 124 Audio-Dateien sind darauf zu finden, in denen Wilhelm „in Platt“ seine Gedichte vorträgt. Noch ein modernes Medium rettet die historische Aussprache in Neuzeit und Zukunft hinüber. Mit QR-Codes gelangt jedes Smartphone zu einem YouTube-Video, in dem der heimatverbundende Autor an unterschiedlichen Stellen der Gemarkung das damit gekennzeichnete Gedicht vorliest. Schließlich: Was nutzen die schönsten Zeilen, wenn sie keiner lesen, geschweige denn verstehen kann? In einem alphabetisch geordneten Wörterteil des Buches werden 900 Begriffe übersetzt. Die Palette reicht von A wie der „Aabe“ bis zu Z wie „zwersch“.
Zur offiziellen Vorstellung des Buches in Wilhelms mit Neugierigen bestens besetztem Mineralienmuseum in Bettendorf weckte Zorbach mit einem kleinen Wörter-Quiz die Lust aufs Übersetzen der Mundart-Begriffe. Natürlich durften von Wilhelm vorgetragene Leseproben von Gedichten und Geschichten in Prosa, die teils auf wahren Begebenheiten beruhen, nicht fehlen. Manch „klaanes unn grießeres Reimche“ unterhielt und amüsierte die Runde, wie etwa die Geschichte über die „Suusevergiftung“ während eines weinseligen Männer-Ausflugs in die Eifel und an die Lahn. Heiteres aus dem Hühnerstall trug der Autor vor, Witziges – mal liebevoll, mal mit deftig schwarzem Humor – sowie Verse mit Tiefsinn, Melancholie und Weisheiten, die ewig gelten. Die kamen allesamt analog „geschwetzt“ in der frohen Gemeinschaft der lachenden und sinnierenden Gäste dann sicher noch vortrefflicher an als noch so neue Medien dazu in der Lage wären, sitzt man allein zuhause.
„Mir war und ist es eine Herzensangelegenheit, diese uns ureigene Sprache nicht in Vergessenheit geraten zu lassen“, erklärt Wilhelm im Vorwort. „Meine Motivation zum Dichten und Reimen begründet sich einzig und allein in der Liebe zu unserer Muttersprache, dem ,Einricher Platt'“, schreibt der 1940 geborene Autor. Diese Liebe wurde schon als Kind vom Großvater und dessen Geschichten geweckt. Wilhelm konzentriert sich auf die Mundart der sechs Ortschaften Bettendorf, Lollschied, Pohl, Roth sowie Ober- und Niedertiefenbach, die zur gleichen Dialekt-Sprachfamilie gehören. Er befürchtet, dass in 50 bis 100 Jahren keiner mehr Platt schwetze kann, von Feinheiten, dass es in Miehlen „nonner“, in Bettendorf aber „nunner“ geht, einmal ganz abgesehen.
Gedichte und Geschichten sind in fünf Kapitel unterteilt, stellen Jahresverlauf, Leute, Tiere, Merkwürdiges und Menschliches sowie Gedanken zum Leben an sich in den Blick. Mit drei Gedichten zum Beginn macht Wilhelm deutlich, warum Mundart für ihn Heimat bedeutet.
Das Buchprojekt der Initiative, das von der Hermann Schlegel-Stiftung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) finanziell gefördert wurde, ist für 19,80 Euro im Bücherland Nastätten und der Postfiliale in St. Goarshausen erhältlich.