Nachbarschaftsraum Lauterbach-Wartenberg feiert mehrere Jubiläen
Reformation und 500 Jahre Evangelisches Gesangbuch
05.11.2024 ts Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Geladen hatte zu gleich mehreren Jubiläen der neugegründete Nachbarschaftsraum Lauterbach-Wartenberg des hiesigen Dekanats und hat sich für den Abend ein neues Format ausgedacht: im kurzweiligen Wechsel von Lied und Wort verging die Zeit für die mehr als 50 Gäste, darunter Vertreter der Freiherrlich-Riedeselschen Familie, Pfarrerin Göbel und Prof. Dr. Helfenbein, wie im Flug.
Zarte, leise, aber auch bestimmend laute Töne entflossen den Meisterhänden der Lauterbacher Kantorin Claudia Regel am Flügel. Aus ihrer und des Wartenberger Pfarrers Dirk Michael Gütgemanns Feder entstammt auch die Idee, bekannte Kirchenlieder aus fünf Jahrhunderten mit einem feingegliederten historischen Rückblick zu verbinden. Denn insbesondere die Geschichte des Gesangbuches im neuen Nachbarschaftsraum, welcher dereinst unter der Freiherrlich-Riedeselschen Landeskirche vereint war, gestaltet sich spannend und aufschlussreich. In diesem Zuge wurde auch Stadthistoriker Till Hartmann in das Projekt eingebunden.
Aus der Praxis der mündlichen Tradierung von Liedgut und Wissen noch im auslaufenden Hochmittelalter hatten sich erste Gesangbücher freilich in vorreformatorischer Zeit entwickelt. Doch insbesondere den Reformatoren ist es zuzuschreiben, dass volkssprachliches Liedgut unter die Massen gebracht wurde, sodass das gemeinschaftliche Singen, wie es an genanntem Abend mithilfe des EG und des EG-Plus gepflegt wurde, überhaupt erst möglich war. Pfarrer Gütgemann wies in diesem Zusammenhang auf die besondere Rolle der Liederdichterin Elisabeth Cruciger hin, deren beeindruckende Biografie er vor dem erstaunten Publikum entwickelte.
Spätestens im 17. Jahrhundert konnten die kleinen Landeskirchen mit der Fülle an neuen Gesangbuchausgaben kaum mehr arbeiten. Es bedurfte einheitlicher Landesgesangbücher, damit Lehrer einheitlich lehren und Pfarrer gemeinschaftlich singen lassen konnten. Die Riedesel Freiherren zu Eisenbach, Erbmarschalle zu Hessen gaben 1753 ein erstes Gesangbuch für ihre Pfarreien in Auftrag. Nachdem jedoch Drucker Metsch plötzlich verstarb und das Projekt auf der Kippe stand, lag es an seiner Witwe Eleonora Rebecca geb. Hirth, das Werk gütlich zu Ende zu führen. Ihren hierfür konsultierten Gesellen Thomas Hansen Hegelund heiratete die Grande Dame der Lauterbacher Druckerei später. Sie arbeitete hart, verlor durch den Tod Kinder und verdiente fernab ihres Geburtsortes Langensalza ihr saures Brot. Als 1786 eine neue Fassung des Riedeselschen Gesangbuches bei ihr gedruckt wurde, war sie bereits zum zweiten Mal verwitwet.
Das Riedeselsche Gesangbuch wurde in einem langen Prozess im 19. Jahrhundert vom Großherzoglich-Hessischen Gesangbuch abgelöst, das immer wieder neugestaltet wurde. Texte, Melodien und Liedauswahl änderten sich, wenngleich sich ein gewisser Kanon von Liedern bis heute tradiert. Bekannte Klassiker wie „Nun danket Alle Gott“ wurden vollkehlig gesungen und auch unbekanntere Lieder aus dem Riedeselschen Gesangbuch, etwa das Trauerlied „Gott hat mich betrübet“ zur Melodie von „Jesu meine Freude“, leiteten über zu Julie Hausmanns „So nimm denn meine Hände“, einem erst spät gebührend gewürdigten Meisterwerk des 19. Jahrhunderts. Über Dietrich Bonhoeffers hoffnungsvolle Schöpfungen aus dunkelster Zeit leitete der Abend die Gäste bis in die unmittelbare Gegenwart.
Claudia Regel gab zuletzt den Hinweis auf ein weiteres Jubiläum: denn das aktuelle EG ist in diesem Jahr 30 Jahre alt geworden – und bedarf schon wieder einer zeitnahen Neuauflage. 2028 soll die Neuausgabe, nunmehr auch digital, erscheinen. „Vertraut den neuen Wegen“, zitiert die Kantorin ein bekanntes Kirchenlied von 1989 und blickt, wie Gütgemann, Hartmann und die zahlreichen Gäste hoffnungsvoll auf die Zukunft des evangelischen Liedgutes.
„Die Vorbereitung hat viel Freude bereitet“, heißt es aus der gemischten Organisationsgruppe. Und auch die positive Resonanz dieses ergreifenden Abends verspricht eine Neuauflage im nächsten Jahr. Die gelungene Zusammenarbeit von Evangelischer Kirchengemeinde, Stadt und Museumsverein im wunderschönen Lauterbach klang zu Lauterbacher Bier, Wurst und Käse ganz im Sinne Luthers spätabends aus.