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Bericht von einer Dekanatskonferenz

Schule und Kirche in den Nachbarschaftsräumen

Wie kann Schule als Handlungsort für Kirche (neu) erschlossen werden? Johannes Hoeltz, Schulpfarrer und Schulseelsorger, berichtet von der Dekanatsgesamtkonferenz Wetterau zum Thema Schule und Kirche.

16 Uhr am Nachmittag in einem gut gefüllten Klassenraum der Beruflichen Schulen am Gradierwerk in Bad Nauheim. Die Gesamtkonferenz des Dekanats Wetterau sitzt an einem für sie ungewöhnlichen Ort in Kleingruppen an einem für sie ungewöhnlichen Thema. Die Kolleginnen und Kollegen beugen sich über Listen der Schulen in ihren Nachbarschaftsräumen. Kreuze werden bei den Schulen gesetzt, an denen der Nachbarschaftsraum an der Schule präsent ist.

Der Nachbarschaftsraum Bad Nauheim ist an vielen Schulen vertreten. Beziehungen zu den Schulen sind eingespielt und erprobt. Kirche hat ihren Ort an Schule. Trotzdem: an vier von zwölf Schulen fehlt das Kreuz.

Andere Nachbarschaftsräume haben das Modell des kumuliert erteilten Religionsunterrichts gewählt: ein Kollege erteilt die Stunden des gesamten Teams an einer Schule. Das ist gut, denn so er ist an dieser Schule gut verankert und Teil des Schulteams. Jedoch: an vielen anderen Schulen fehlt dadurch das Kreuz in der Liste. Es gibt keine direkte Verbindung mehr in den Nachbarschaftsraum.

Diese Übung stellt die aktuelle Situation von Schule und Kirche dar, die die Gesamtkonferenz zum Thema hat. Im Hintergrund steht der Befund der KMU VI, dass der Religionsunterricht von den Befragten als entscheidend für die eigene religiöse Sozialisation erlebt wird (45%). Damit ist der Religionsunterricht hinter der Konfirmation und der Mutter an 3. Stelle der Einflussfaktoren und noch vor z.B. kirchlichen Jugendgruppen. Für Anita Seebach, Schulamtsdirektorin im Kirchendienst, und Dekan Volkhard Guth folgt daraus, dass der Religionsunterricht nicht aufgegeben werden darf und wichtige Kontaktflächen bietet.

Also stellen sie der Konferenz folgende Leitfragen:
•    Wie nimmt Kirche den säkularen Raum Schule wahr?
•    Wie kann sich Kirche Schule als Handlungsort in einer Zeit zunehmenden Relevanzverlustes (neu) erschließen?
•    Wie kann Kirche Schule als Fenster in die Welt nutzen? 
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Auch räumlich wird dieser Blick nach außen deutlich. Zum ersten Mal seit Jahren tagt die Gesamtkonferenz nicht in einem Gemeindehaus, also ‚bei sich‘, sondern in einer Schule und noch dazu in der gemeindefernsten Schulform, in einer Berufsschule.
Ismail Yilmaz, evangelischer Religionslehrer und Sozialpädagoge, und Johannes Hoeltz, Schulpfarrer und Schulseelsorger, stellen diese fremde säkulare Welt vor. Gewiss, manche Schüler sind konfirmiert, andere gingen zur Erstkommunion, viele aber sind säkular, haben keinen Bezug zu Kirche oder Religion, manchmal schon in der zweiten oder dritten Generation. Wenige sind ausdrücklich atheistisch, viele eher agnostisch, oft mit einer diffusen Spiritualität mit verschiedenen Versatzstücken. Und dann gibt es viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die eine geprägte Religion aus ihren Herkunftsländern mitbringen. Oft ist das der Islam in seinen verschiedenen Ausprägungen.

Die Berufsschule bildet die vielfältige moderne Welt ab, mit ihren unterschiedlichen Sinnangeboten und in ihrer oft verstörenden Unübersichtlichkeit. Christentum, Kirche, Jesus, Gott - diesen Begriffen wird mit Gleichgültigkeit oder Skepsis begegnet. Hier wirken Feindbilder, die manchmal ihre Wurzeln in einem autoritären, dogmatischen, bevormundenden Verhalten von Kirche vergangener Zeiten haben. Diese Feindbilder müssen zunächst abgebaut werden, um ins Gespräch zu kommen. Doch auch darüber hinaus ist bei manchen Schülern die Säkularisierung so tiefgehend, dass selbst die Bereitschaft fehlt, darüber nachzudenken, ob nach dem Tod noch etwas kommt: "Nein, mit dem Tod ist alles vorbei!"

Wie geht Religionsunterricht mit dieser Ausgangslage um? Für Ismail Yilmaz und Johannes Hoeltz ist klar: Religionsunterricht kann sich nicht in konfessioneller Wissensvermittlung erschöpfen. Der Unterricht muss von den Schülerinnen und Schülern ausgehen, an ihrer Lebenswelt orientiert sein. Gerade für den Religionsunterricht gilt, dass er ein Beziehungsgeschehen sein muss. Dabei hilft es, dass an beruflichen Schulen im Klassenverband unterrichtet wird. Die Vielfalt der Klassengemeinschaft ist selbst der erste Gegenstand des Unterrichts. Die heterogene Lerngruppe lernt, die unterschiedlichen Positionen, religiös oder nicht religiös, wahrzunehmen. Im Hören auf den anderen erhalten die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, sprachfähig zu werden und ihre eigene Position zu formulieren. Das kann nur gelingen, wenn ein gegenseitiger Respekt eingeübt wird. In diese Vielfalt, die die Klasse mitbringt, bringt auch die Lehrperson ihre Position ein, gleichberechtigt, offen und auf Augenhöhe.

Wie kann Kirche, Gemeinde, Nachbarschaftsraum sich in diese fremde säkulare Welt einbringen? Schule bietet für Kirche den Vorteil einer Geh-Struktur statt einer Komm-Struktur. Die Kinder und Jugendlichen sind schon da, ob im Unterricht oder nachmittags in der Betreuung. Die Diskussion in der Gesamtkonferenz zeigt, dass sich hier viele Möglichkeiten bieten: kirchliche AG-Angebote in der Betreuung, Konfirmandenunterricht in der Schule, interreligiöse Angebote oder auch Beratungs- und Seelsorgeangebote, gerade auch an kleinen Schulen, die keine Schulsozialarbeit haben. Die Kantorin könnte musikalische Angebote machen. Auch die Ferienbetreuung bietet Möglichkeiten für kirchliche Jugendarbeit. Und nicht zuletzt gibt es auch die Möglichkeit über die Pflichtstundenzahl hinaus Religionsunterricht anzubieten und die Chance zu nutzen, regelmäßig und intensiv mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu sein.

Vieles hier Genannte ist nicht neu. Aber haben sich früher Projekte und Angebote dadurch, dass Kirche und Gemeinde präsent war und selbstverständlich als Ansprechpartnerin gesucht wurde, einfach ergeben, kann Kirche sich heute nicht mehr darauf verlassen. Kirche muss sich als verlässliches und attraktives Gegenüber aktiv anbieten. Das bedeutet dann, dass Kirche sich an die Gegebenheiten von Schule anpasst und nicht umgekehrt. Ein konkretes Beispiel: Religionsunterricht müsste wegen Abwesenheitszeiten von Pfarrpersonen (der Konfifreizeit o.ä.) nicht ausfallen. Dann könnte eine Kollegin aus dem Nachbarschaftsraum einspringen und so Verlässlichkeit gewährleisten.

Deutlich wird auch ein Vorteil der neuen Strukturen: Durch sie bietet sich die Möglichkeit, dass die Kollegen und Kolleginnen an die Schule gehen, die das gerne machen und hier einen Schwerpunkt setzen. Wer nicht will oder kann, muss nicht. Aufgabe der anderen im arbeitsteiligen Nachbarschaftsraum wäre, diesen Einsatz zu unterstützen und in Gemeinde und Kirchenvorstand wertschätzend dafür zu werben, da der Religionsunterricht dort wenig sichtbar ist.

Zurück zur Gruppenarbeit: Die Kreuze sind in die Listen der Nachbarschaftsräume gesetzt. Jetzt werden best practice Beispiele gesammelt. Eine Kollegin erzählt, dass sie die Religionslehrkräfte in ihrem Nachbarschaftsraum regelmäßig einlädt, nach Schulende und mit einem gemeinsamen Essen als Beginn. Eine Palliativpfarrerin erzählt von einem Gesprächsangebot an einer Grundschule, an der zwei Väter von Schülern verstorben waren. Der Kontakt war über persönliche Kontakte zustande gekommen. Um sich nicht auf solche Zufälle zu verlassen, soll es in Zukunft in den sieben Nachbarschaftsräumen im Dekanat Wetterau Beauftragte für ‚Schule und Kirche‘ geben. Insbesondere für Schulen, bei denen das Kreuz auf der Liste fehlt, soll es eine Kontaktperson geben, die verlässlich sicher stellt, dass das Fenster in die Welt Schule hinein für Kirche offenbleibt oder weit aufgestoßen wird.

Johannes Hoeltz, Schulpfarrer und Schulseelsorger an den Beruflichen Schulen am Gradierwerk in Bad Nauheim

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