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Taufe nach Flucht aus der DDR: Kirche unterstütze Ausreisewillige
privat
03.05.2023
ahrt
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Günter Ludwig ist aus der DDR geflohen. Bis zu seiner Ankunft in Westdeutschland war es ein langer und harter Weg. Unterstützung erfahren hat er durch Pfarrerinnen und Pfarrer, die ihre Kirchen trotz angedrohter Strafen als Treffpunkt für Ausreisewillige öffneten. Diese Erfahrungen haben den Friedberger so sehr geprägt, dass er sich vor 5 Jahren schließlich als Christ taufen ließ.
Günter Ludwig wurde wenige Jahre nach Gründung der DDR geboren und wuchs in Ostberlin und Potsdam auf. Das Abitur in Potsdam durfte er nicht machen, obwohl er einer der Klassenbesten war. Er ließ seiner Zwillingsschwester den Vortritt, denn zwei Kinder aus einer Familie wurden nicht zum Abitur zugelassen.
Günter Ludwig: Große Unterschiede zwischen Realität und Propaganda
Dass sich die Realität in der DDR deutlich von der verbreiteten Propaganda unterschied, fiel ihm früh auf. „Die meisten, auch meine Eltern, haben es akzeptiert und einfach ignoriert, aber ich konnte das nicht.“
Ludwig machte eine Lehre. Danach, mit 19 Jahren, wollte er studieren. Allerdings musste er zunächst den 18-monatigen Wehrdienst absolvieren. Die Verantwortlichen machten ihm wie vielen anderen auch ein besonderes Angebot: Wenn er sich freiwillig für 3 Jahre verpflichten würde, garantiere man ihm im Anschluss einen Studienplatz. „Darauf habe ich mich aber nicht eingelassen“, sagt Ludwig, der dem Regime bereits misstraute. „Ich hatte Glück und wurde trotzdem schnell eingezogen, andere mussten noch jahrelang warten.“
Die Zeit bei der Armee war hart. „Dort war man ein Nichts – vor allem, wenn man studieren wollte. Uns wurde permanent Druck gemacht und mit dem Verlust des Studienplatzes gedroht. Da ist mir dann so richtig klargeworden, dass wir immer noch in einer Diktatur leben und alles andere nur Schein ist.“ Die Zeit habe ihn sehr geprägt. „Deshalb betrifft mich der Krieg zwischen Russland und der Ukraine heute auch sehr. Es sind die gleichen Muster wie damals.“
Günter Ludwig: Durch Reisen Welt außerhalb der DDR entdeckt
Nach dem Wehrdienst konnte Ludwig sein Studium absolvieren. Er fing aber auch an, sich für die Welt zu interessieren. Östliche Länder wie Bulgarien bereiste er mit Familie und Freunden – „aber ich wollte mehr von der Welt sehen“, erinnert er sich. „In den DDR-Reisebüros eine Fernreise zu bekommen, war allerdings fast unmöglich.“ Also engagierte er sich in einem Jugendreisebüro in Potsdam als Reiseleiter. Dieser Job führte in bis in die Mongolei. „Das hat meinen Blick geweitet.“
Unterdessen wurde die Lage in der DDR immer angespannter. Waren wurden knapper, vor allem in den Provinzen. Die breite Öffentlichkeit sollte davon nichts mitbekommen. Alles wurde staatlich kontrolliert. „Ich wusste: Ich kann das nicht mein Leben lang ertragen. Ich habe mir freies Reisen, eine freie Berufswahl gewünscht.“
Günter Ludwig: Offiziell Antrag auf Ausreise gestellt
1989 stellten Ludwig und seine damalige Lebensgefährtin deshalb offiziell einen Antrag auf ständige Ausreise. „Wir konnten uns vorstellen, irgendwo noch einmal ganz von vorne anzufangen. Aber wir hatten auch Angst davor, unser Leben zu riskieren.“ Denn Ausreisewillige waren nicht gerne gesehen. „Mit einem Mal waren wir zu Regimegegnern geworden, wir hatten uns geoutet“, erzählt Ludwig. „Freunde und Kollegen wurden damit beauftragt, Beobachtungen über uns schriftlich festzuhalten. Wir waren vogelfrei.“
Günter Ludwig: Kirchen als Zufluchtsort für Ausreisewillige
Dieser Psychoterror sei nur schwer auszuhalten gewesen. Doch Ludwig hatte einen Arbeitskollegen, dessen Ausreise nach 4 Jahren des Wartens kurz bevorstand. Dieser nahm ihn mit zu einer evangelischen Kirche, wo sich Ausreisewillige jeden Montagabend trafen. Die Pfarrer vor Ort boten ihre Kirchen als Diskussionsforen an. „Die Stasi war ebenfalls vor Ort, doch das war allen egal“, erzählt Ludwig. „Es tat unglaublich gut, mit Gleichgesinnten ins Gespräch zu kommen. Und dafür war ich den Pfarrern sehr dankbar. Sie mussten uns nicht unterstützen, sie standen dadurch genauso unter Beobachtung wie wir. Aber sie wollten uns helfen, indem sie uns einen Raum geöffnet haben.“ Das half beim Durchhalten. „Die Kirche war eine große Hilfe für uns.“ Es sei auch heute noch eine wichtige Aufgabe der Kirche, Menschen auf der Flucht zu unterstützen.
Dann fiel der eiserne Vorhang in Ungarn. Visafreie Besuche wurden eingestellt. „Im September 1989 sahen wir im ZDF, wie sich Ausreisewillige an der westdeutschen Botschaft in Prag trafen.“ Im Versuch auf exterritoriales Gebiet zu kommen und danach in die Bundesrepublik. „Für uns stand fest: Wir fahren dahin! Auch wenn wir nicht wussten, was uns erwartete und wir so gut wie Nichts mitnehmen konnten.“
Günter Ludwig: Flucht nach Prag
Mit Wanderkarten und Wanderrucksäcken bepackt konnten sie wider Erwarten die Grenze problemlos und ohne Kontrolle passieren. „Um Mitternacht erreichten wir Prag. Überall begegneten uns Autos mit ostdeutschem Kennzeichen.“ Ohne einen Stadtplan versuchte Ludwig mit Lebensgefährtin und Tochter die Botschaft zu finden. „Wir hatten große Angst entdeckt zu werden. Am Park vor der Botschaft kamen wir nicht weiter, dort leuchteten sie mit Scheinwerfern.“ Ein junger Mann zeigte ihnen schließlich den Weg zur Botschaft, indem er mit dem Auto voranfuhr.
Die tschechische Polizei vor dem Gebäude ließ sie passieren. „Als wir dann schließlich über den Zaun geklettert sind, ist uns ein riesiger Stein vom Herzen gefallen: Wir hatten den ersten Schritt geschafft! Auch wenn wir nicht wussten, wie es weitergeht.“ Mehrere Tage verbrachte die Familie auf dem Gelände der Botschaft. „Es wurde immer voller, am Ende waren wir rund 6000 Leute.“ Das rote Kreuz versorgte die Ausreisewilligen, am Zaun sendeten die Medien Livebilder.
„Dann verbreitete sich das Gerücht, Genscher wäre vor Ort.“ Die Vermutungen bestätigten sich und dann passierte es: Um 19 Uhr trat der damalige Außenminister auf den Balkon der deutschen Botschaft und sprach die berühmten Worte. „Nachdem das Wort ‚Ausreise‘ gefallen war, brachen wir in Jubelschreie aus. Da hat unser neues Leben begonnen.“ Bei der Erinnerung daran bekommt Günter Ludwig noch heute Gänsehaut.
Günter Ludwig: Neuanfang in Gießen und der Wetterau
Noch am selben Abend wurden die ersten Flüchtlinge mit Bussen zum Bahnhof gebracht. Wie mit der DDR-Führung vereinbart, ging die Fahrt über Dresden in das bayerische Hof. „Die westdeutschen Diplomaten garantierten uns eine sichere Durchreise durch die DDR und schickten Botschaftsmitarbeiter, um die Züge zu begleiten“, erzählt Ludwig. Die Stasi sammelte trotzdem alle Pässe ein, doch die Familie hatte Glück und rutschte bei der Kontrolle durch. So konnten sie ihre Ausweise behalten und sich später legitimieren.
Im Westen angekommen, kamen sie in Reiskirchen bei Gießen unter. „Wir hatten Verwandte in Burbach bei Siegen. Mit ihrer Hilfe haben wir uns zunächst um alle Formalitäten gekümmert, aber am wichtigsten war es, einen Job zu finden.“ Ihre Tochter konnte in Großen-Buseck zur Schule gehen. Die Schwiegermutter schmuggelte bei einem Besuch ihre DDR-Zeugnisse ein. „Damit konnten wir uns dann richtig bewerben.“ Das führte Günter Ludwig schließlich in die Wetterau. Seine Lebensgefährtin fand einen Job in Bad Nauheim, er in Frankfurt. „Bereits Mitte Dezember habe ich dort angefangen. Das war ein wichtiger Meilenstein in meinem Leben. Und es hat mir gezeigt: Man kann alles zurücklassen und komplett neu anfangen, man muss es nur wollen.“
Günter Ludwig: Durch Sohn wieder Kontakt zur Kirche
Als er seine heutige Ehefrau kennenlernt, beginnt dann noch einmal ein neues Leben. Der gemeinsame Sohn besucht einen Evangelischen Kindergarten. Als Günter Ludwig sich mit dessen Taufe beschäftigt, fängt er an, auch über seinen eigenen Glauben nachzudenken. In Friedberg nimmt er an einem evangelischen Vater-Kind-Wochenende mit Pfarrer André Witte-Karp teil, später übernimmt er die Organisation der Veranstaltung, um „etwas zurückzugeben“, wie er sagt.
2018 schließlich fasst er den Entschluss, sich selbst in der Stadtkirche Friedberg taufen zu lassen – geprägt durch die Unterstützung, die er erfahren hat, als die Pfarrer ihre Kirchen für die Ausreisewilligen öffneten und politisch unabhängig blieben. „Ich wollte mich mit der Taufe in die weltweite Gemeinschaft der Christen aufnehmen lassen – egal wo man auf der Welt ist, als Christ ist man nie alleine.“ Sein Taufspruch passt zu seiner Geschichte: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ Worte aus dem Galaterbrief. „Freiheit ist nicht selbstverständlich“, das hat Günter Ludwig schmerzlich erfahren. „Man muss sie sich erarbeiten und sie schützen.“
Jetzt selbst taufen lassen: #deinetaufe
Mit der Aktion #deinetaufe lädt die evangelische Kirche ein, im Sommer 2023 das Geschenk der Taufe neu zu entdecken und zu feiern. Auch die Kirchengemeinden im Ev. Dekanat Wetterau machen mit und feiern große Tauffeste unter freiem Himmel und an besonderen Orten. Hier geht es zur Aktionshomepage