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Statement

Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die Reform des Europäischen Asylsystems

iStock/Alessandro Biascioli

Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde im Juni 2024 verabschiedet und gilt ab dem Sommer 2026. Die Zivilgesellschaft hat die Reform mehrfach als starke Verschärfung des europäischen Asylrechts kritisiert, die den Schutz von fliehenden Menschen in der EU gefährdet. Diese Kritikpunkte bleiben auch nach dem Beschluss der Verordnungen und der Richtlinie bestehen. Dazu haben 26 Bundesorganisationen ein gemeinsames Statement verfasst.

Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in Deutschland

Die unterzeichnenden Organisationen unterstützen seit Jahren geflüchtete Menschen in rechtlichen, aufnahmebezogenen, sozialen, medizinischen und therapeutischen Belangen. Faire Asylverfahren und menschenwürdige Aufnahmebedingungen sind unser Ziel, wie auch das der Bundesregierung. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde im Juni 2024 verabschiedet und gilt ab dem Sommer 2026. Die Zivilgesellschaft hat die Reform mehrfach als starke Verschärfung des europäischen Asylrechts kritisiert, die den Schutz von fliehenden Menschen in der EU gefährdet. Diese Kritikpunkte bleiben auch nach dem Beschluss der Verordnungen und der Richtlinie bestehen.

Einige Mitgliedstaaten fordern bereits weitere Verschärfungen zur Auslagerung des Flüchtlings-schutzes, wodurch die neuen Regelungen politisch in Frage gestellt werden. Eine nicht menschenrechtskonforme Umsetzung würde die Erosion rechtsstaatlicher Standards in der EU weiter vorantreiben.

Diesem Trend sollte sich die Bundesregierung mit besonderer Sorgfalt bei der Umsetzung entgegenstellen und die Achtung der Menschenrechte stets in den Fokus nehmen. Die unterzeichnenden Organisationen betonen, dass EU-Recht immer entsprechend der EU-Grundrechtecharta (GRCh) menschenrechtskonform angewendet werden muss und so z.B. das Recht auf Asyl, das Recht auf Freiheit und das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf geachtet werden müssen. Zudem müssen einschlägige internationale Verträge wie die UN-Kinderrechtskonvention oder die UN-Behindertenrechtskonvention eingehalten werden.

Für die gesetzliche Umsetzung der neuen Rechtsakte (1) in Deutschland machen die unterzeichnenden Organisationen auf folgende wichtige Punkte aufmerksam, die im Folgenden kurz ausgeführt werden:

  • Starkes Menschenrechts-Monitoring
  • Vulnerable Gruppen identifizieren und schützen
  • Faire und sorgfältige Asylverfahren
  • Unabhängige und durchgängige Asylverfahrensberatung
  • Rechtsschutz stärken
  • Keine Inhaftierung schutzsuchender Menschen
  • Kinder schützen und unterstützen
  • Menschenwürdige Aufnahme

Diese Ausführungen sind nicht abschließend und sind unter hohem Zeitdruck entstanden, um eine frühzeitige Berücksichtigung der zivilgesellschaftlichen Expertise zu ermöglichen. Dies ersetzt ausdrücklich nicht die angemessene Verbändebeteiligung bei Vorliegen eines Referentenentwurfs. Für diese sollten angesichts der Komplexität der Regelungen schon jetzt mindestens zwei Wochen eingeplant werden. Wir möchten zudem darauf hinweisen, dass die Umsetzung der Reform durch eine angemessene Finanzierung getragen werden muss.

(1) Screening-Verordnung 2024/1356 (Screening-VO), Asylverfahrensverordnung 2024/1348 (AVVO), Aufnahmerichtlinie 2024/1346 (AufnahmeRL), Verordnung über ein Asyl- und Migrationsmanagement 2024/1351 (AMM-VO), Krisenverordnung 2024/1359, Qualifikationsverordnung 2024/1347, Grenzrückführungsverordnung 2024/1349, Resettlementverordnung 2024/1350, Screening-Konsistenz-Verordnung 2024/1352, Eurodac-Verordnung 2024/1358

STARKES MENSCHENRECHTS-MONITORING

Das neue Erfordernis eines unabhängigen Menschenrechts-Monitorings ist eine der wenigen positiven Regelungen der Reform. Angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen braucht es starke Überwachungsmechanismen, um diesen etwas entgegensetzen zu können. Auch auf Deutschland kommen mit dem Wechsel vom Flughafenverfahren zum neuen Außengrenzscreening und -grenzasylverfahren große Veränderungen zu. Um hier für menschenrechtskonforme Bedingungen zu sorgen, braucht es ein starkes Monitoring. So kann die deutsche Umsetzung auch Vorbild für andere EU-Länder sein.

1. Unabhängiger Überwachungsmechanismus: Es muss ein eigenständiger und unabhängiger Monitoring-Mechanismus für das Screening eingerichtet werden (Art. 10 Abs. 2 Screening-VO), der sinnvollerweise auch für das ebenfalls verpflichtende Monitoring im Asylgrenzverfahren zuständig ist (Art. 43 Abs. 4 AVVO). Eine behördliche Rechts- und Fachaufsicht würde hierfür nicht genügen. Es sollte vielmehr durch gesetzliche Regelungen sichergestellt werden, dass der Mechanismus unabhängig ist, vor allem hinsichtlich der Wahrnehmung der Aufgaben, der Auswahl der Mitarbeitenden und der Finanzierung. In Deutschland kommen das Deutsche Institut für Menschenrechte sowie die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter für diese Aufgabe in Frage (vgl. Art. 10 Abs. 2 UA 4 Screening-VO).

2. Jährlicher Bericht an den Bundestag: Die in Art. 10 Abs. 2 UA 3 Screening-VO geregelte Befugnis des Überwachungsmechanismus, jährliche Empfehlungen an die Mitgliedstaaten abzugeben, sollte gesetzlich dahingehend konkretisiert werden, dass die Monitoringstelle mindestens jährlich einen Bericht über ihre Tätigkeit, Erkenntnisse und Empfehlungen an den Deutschen Bundestag abgibt und die Bundesregierung hierzu Stellung nimmt. Nur dann ist eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Empfehlungen sichergestellt.

3. Einrichtung eines bundesweiten Konsultativforums: Art. 10 Abs. 2 UA 4 Screening-VO sieht die enge Zusammenarbeit der nationalen Monitoringstellen mit einschlägigen Nichtregierungsorganisationen sowie den nationalen Datenschutzbehörden und dem Europäischen Datenschutzbeauftragten vor. Für diesen Austausch sollte ein bundesweites Konsultativforum eingerichtet werden. Bezüglich der Abschiebungsbeobachter*innen wurden mit den sie begleitenden Foren („Flughafenforen“) gute Erfahrungen gemacht und sie können entsprechend als Modell übernommen werden. Dies hätte den Vorteil, dass in unmittelbarem Austausch der fachlich kompetenten Akteure entstehende Probleme beim Grundrechtsschutz direkt angesprochen, diskutiert und idealerweise gelöst werden können.

VULNERABLE GRUPPEN IDENTIFIZIEREN UND SCHÜTZEN

Besonders vulnerable Gruppen wie Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, Personen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt werden (LSBTI+), Überlebende schwerer Gewalt oder Folter und Betroffene von Menschenhandel haben ein Recht auf besondere Unterstützung, damit das Asylverfahren für sie fair ist und die Aufnahmebedingungen angemessen. Um dies zu gewährleisten ist vor allem Folgendes notwendig:

1. Mindestens zweistufige Identifizierung besonderer Schutz- und Aufnahmebedarfe: Die Zuständigkeit für die Durchführung der Vulnerabilitätsprüfung im Screeningverfahren als Verfahrensschritt vor dem Asylverfahren muss bei den dafür zuständigen Behörden (BAMF und für die Aufnahme zuständige Landesbehörden), nicht bei der Polizei liegen (Art. 2 Abs. 10 iVm Art. 12 Abs. 3 Screening-VO). Gesetzlich ausdrücklich zu regeln ist außerdem, dass vor einer Verteilung auf die Bundesländer zumindest eine erste Identifizierung von Vulnerabilitäten erfolgt sein muss und die identifizierten Vulnerabilitäten bei der Verteilung zu berücksichtigen sind (Art. 7 Abs. 3, Art. 25 Abs. 1 AufnahmeRL iVm Art. 4 Abs. 1 b Screening-VO). Dies gilt genauso für neu ankommende Geflüchtete, die nicht unter die Screening -VO fallen, weil sie etwa in einem anderen Mitgliedstaat bereits gescreent wurden (Art. 7 Abs. 3, Art. 25 Abs. 1 AufnahmeRL). Es ist von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, neben der Prüfung von Aufnahmebedarfen die Länder zusätzlich mit der Ermittlung besonderer Verfahrensgarantien nach der AVVO zu beauftragen (Art. 20 Abs. 1 S. 2 AVVO), auch um im Bedarfsfall erneute oder zusätzliche Identifizierungsmaßnahmen einzuleiten.

2. Gewährleistung hoher Qualität der Identifizierung von Schutz- und Versorgungsbedarfen: Oberste Priorität muss sein, dass eine Beteiligung von fachkundigen Nichtregierungsorganisationen und medizinischen Fachexpert*innen bei der Konzeption und Durchführung etwaiger Identifizierungsverfahren in jedem Verfahrensschritt gesetzlich verankert (Art. 12 Abs. 3 S. 2 Screening-VO, bspw. auch Art. 11 Abs. 4 MenschenhandelRL) und finanziert wird (Art. 8 Abs. 9 UA 4 Screening-VO). Eine Aufklärung zu und Vorbereitung auf Maßnahmen der Vulnerabilitäts-Ermittlung durch unabhängige, spezialisierte Rechtsberatung vom Anfang des Screenings an ist ebenfalls unabdingbar (Art. 11 Abs. 4 Screening-VO, Art. 15 AVVO, siehe Punkt “Unabhängige und durchgängige Asylverfahrensberatung”). Auch die Verfahrensgarantien für die Identifizierung aus Art. 25 Abs. 1 UA 1 und Abs. 2 S. 1 AufnahmeRL (bspw. Sprachmittlung und eine detaillierte Dokumentationspflicht der Behörden) müssen gesetzlich umgesetzt werden.

3. Übermittlung von Daten zwischen Behörden: Jegliche Identifizierungs-Maßnahme zu Vulnerabilitäten muss in eine schriftliche Dokumentation münden, die der Person ausgehändigt wird (Art. 17 Abs. 3 UA 3 Screening-VO, vgl. Art. 25 Abs. 2 S. 1 b) AufnahmeRL). Die ermittelten Bedarfe werden unter informierter Einwilligung datenschutzkonform nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Datensparsamkeit an die zuständigen Behörden übermittelt (Art. 18 Abs. 1 UA 2 ScreeningVO, Art. 20 Abs. 1 S. 3 AVVO). Es bedarf hier einer expliziten gesetzlichen Klarstellung, dass diese Behörden alle mit der Gewährung von Aufnahme- und Verfahrensbedarfen betrauten Behörden sind.

4. Versorgungsanspruch aus identifizierten Schutzbedarfen: Ein Anspruch auf die Gewährung festgestellter besonderer Bedarfe ist explizit im Gesetz festzuschreiben (Art. 25 Abs. 2 S. 2 AufnahmeRL). Eine den ermittelten Bedarfen entsprechende Unterbringung und gesundheitliche Versorgung gemäß der AufnahmeRL erfordern eine rechtliche Festlegung, welche Leistungen aufgrund des Bedarfs gewährt werden. Dazu muss der entsprechende Leistungsumfang und der Kostenträger gesetzlich eindeutig bestimmt werden. Dies betrifft unter anderem eine geeignete psychologische Betreuung für Überlebende schwerer Gewalt oder Folter (Art. 22, 28 AufnahmeRL), Teilhabe- und Pflegeleistungen für Menschen mit Behinderung (Art. 19 Abs. 2 AufnahmeRL iVm Art. 26 GRCh, Art. 22, Art. 25 Abs. 2 S. 2 AufnahmeRL) sowie bedarfsgerechte Unterbringung (Art. 20, Art. 26 AufnahmeRL). Auch die Kostenübernahme für erforderliche Sprach- und Kulturmittlung muss gesetzlich verankert werden.

FAIRE UND SORGFÄLTIGE ASYLVERFAHREN

Faire und sorgfältige Asylverfahren sind der Schlüssel dafür, dass verfolgte Menschen Schutz bekommen. In Deutschland gibt es - trotz bestehender Kritikpunkte - grundsätzlich einen hohen Standard im Asylverfahren, der zu halten ist. Wenn die Asylverfahren nicht gut funktionieren, dann verlagert sich die Arbeit im Zweifelsfall auf die Gerichte und führt dort zu Überlastung.

1. Anpassung des deutschen Asylgesetzes: Statt das Asylgesetz durch Streichungen zu verkomplizieren, sollte es gemäß der GEAS-Reform angepasst werden. Dies betrifft neben den Verfahrensnormen auch die Definitionen von „Familie“ und „Familienangehörigen“, schutzbietenden Akteuren, internem Schutz und dem Verfolgungsgrund „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“. Eine solche Verfahrensweise wäre auch mit der EuGH-Rechtsprechung vereinbar, insbesondere da die Reform ohnehin nationale Umsetzungsspielräume beinhaltet.

2. Keine neuen „sicheren Drittstaaten“: Zulässigkeitsentscheidungen im Asylverfahren bleiben optional für Mitgliedstaaten (Art. 38 AVVO). Abgesehen von dem separaten Dublin-Regime, spielen Unzulässigkeitsentscheidungen wegen angeblich sicherer Drittstaaten in Deutschland bislang keine Rolle. Es ist auch nicht zielführend, durch neue „sichere Drittstaaten“ eine andere Praxis aufzubauen, da dies praktisch nur sehr schwer durchsetzbar sein würde und die Asylverfahren bzw. den Zugang zu Schutz stark verzögern würde. Dies ergibt sich aus den Stellungnahmen der Sachverständigenanhörungen des BMIs.

3. Keine Ausweitung von o.u.-Entscheidungen oder sicheren Herkunftsstaaten“: Durch Art. 42 AVVO werden in vielen Fällen beschleunigte Asylverfahren zur Pflicht. Dies bedeutet auch kürzere Klagefristen (vgl. Art. 67 Abs. 7 a) AVVO) und keine aufschiebende Wirkung der Klage (vgl. Art. 68 Abs. 3 a) i) AVVO), was bereits eine große Benachteiligung für die Betroffenen und eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für Anwält*innen wäre. Da die Regelung nur "unbeschadet des Grundsatzes der Nichtzurückweisung" gilt und dieser eine aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen erfordert, muss aber auch in diesen Fällen die aufschiebende Wirkung der Regelfall sein. Die Bundesregierung sollte die Rechtslage nicht weiter verschärfen und keine weiteren o.u.-Gründe einführen oder neue „sichere Herkunftsstaaten“ benennen, insbesondere nicht wenn bestimmte Teilgebiete oder Personengruppen (z.B. LSBTI+) in dem Land eindeutig nicht sicher sind (vgl. BVerfG).

UNABHÄNGIGE UND DURCHGÄNGIGE ASYLVERFAHRENSBERATUNG

Eine unabhängige Asylverfahrensberatung ist ein entscheidender Faktor für faire Asylverfahren und wirkt sich auch positiv auf die Abläufe im Asylverfahren aus. Entsprechend gut sollten die Möglichkeiten der Verordnungen für ein starkes Beratungssystem genutzt werden. Eines der Ziele der Reform ist es, Rechtsberatung durchgängig in allen Verfahrensstadien zu gewährleisten.

1. Asylverfahrensberatung weiterhin gesetzlich verankern: Die Garantie einer angemessenen und unabhängigen Rechtsberatung ist unter Berücksichtigung der unlängst eingeführten Asylverfahrensberatung (§12a AsylG) als konkretisierende bundesgesetzliche Regelung des Art. 15 Abs. 3 AVVO weiterhin gesetzlich zu verankern. Diese muss sowohl die unabhängige Asylverfahrensberatung als auch die besondere Rechtsberatung für vulnerable Personen in allen Verfahrensschritten sicherstellen. Neben der gesetzlichen Regelung muss die ausreichende Bundesfinanzierung sichergestellt werden, um den tatsächlichen Zugang gewährleisten zu können.

2. Rechtsberatung von Anfang an und überall: Der Zugang sowohl zur unabhängigen Asylverfahrensberatung als auch zur besonderen Rechtsberatung für vulnerable Personen muss explizit bereits im Screeningverfahren und auch im Grenzverfahren sichergestellt werden. Gerade wenn Asylsuchende sich nicht frei bewegen dürfen, ist es essentiell, dass Beratungsorganisationen uneingeschränkten Zugang zu den Einrichtungen haben. Bezüglich des Screenings sollte geregelt werden, dass Informationen durch NGOs erteilt werden (Art. 11 Abs. 4 Screening-VO).

3. Rechtliche Unterstützung ohne Ausnahmen garantieren: Art. 19 Abs. 2, Abs. 3 iVm Art.16 Abs. 3 und Art.17 Abs. 2 AVVO gibt Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Rahmen der Rechtsauskunft, -beratung und -vertretung näher auszugestalten. Bei der Ausgestaltung sollte ein uneingeschränktes Recht auf Unterstützung für alle Antragstellenden verankert werden, unabhängig von der finanziellen Situation der Antragstellenden und unabhängig von der Erfolgsaussicht oder der Instanz der rechtlichen Unterstützung.

RECHTSSCHUTZ STÄRKEN

Nur mit einem funktionierenden Rechtsschutz können wir von einem fairen Asylsystem sprechen. Schon jetzt arbeiten Rechtsanwält*innen und Richter*innen in Deutschland unter hohem Druck. Um Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland den effektiven Rechtsschutz zu garantieren, sollten folgende Punkte bei der Umsetzung berücksichtigt werden:

1. Angemessene Fristen für den Rechtsschutz: Bezüglich der Rechtsschutzfristen wird den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum zugestanden, den Deutschland positiv nutzen sollte, um effektive Rechtsvertretung zu ermöglichen. So sollte für Entscheidungen nach einem beschleunigten Prüfverfahren eine Frist von zehn Tagen für den Rechtsbehelf und bei einer Entscheidung in anderen Fällen eine Frist von einem Monat festgelegt werden (vgl. Art. 67 Abs. 7 AVVO).

2. Angemessene Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens: Laut Art. 69 AVVO sollen die Mitgliedstaaten angemessene Fristen für das Rechtsbehelfsverfahren in erster Instanz festlegen, wobei ebenso festgehalten wird, dass dies eine angemessene und vollständige Prüfung des Rechtsbehelfs nicht beeinträchtigen darf. Bei der MPK im November 2023 wurde eine Frist von sechs Monaten diskutiert. Dies geht jedoch an der Realität vieler Verwaltungsgerichte vorbei und würde einen Druck verursachen, der zu Lasten sorgfältiger Prüfungen gehen könnte. Anstatt enge Fristen gesetzlich zu regeln - an die Richter*innen letztlich nicht gebunden sind - sollte eine bessere personelle Ausstattung der Gerichte sichergestellt werden, die eine sorgfältige und schnelle Bearbeitung gewährleistet.

3. Rechtsmittel zur Überprüfung der Außengrenz-Screeningentscheidung normieren: Effektiver Rechtsschutz iSd Art. 13 EMRK und Art. 19 Abs. 4 GG setzt voraus, dass sich Betroffene auch gegen die Screeningentscheidung wehren können, wenn es um die Zuteilung zum Außengrenzverfahren geht. Aus Sicht der Organisationen müssen die Mitgliedstaaten deshalb auch einen Rechtsbehelf zur Überprüfung der Entscheidung vom Außengrenzscreening schaffen. Die Bundesregierung sollte deshalb bereits jetzt aus Gründen der Rechtsklarheit und des effektiven Rechtsschutzes einen konkreten Rechtsbehelf normieren. Dieser Rechtsbehelf sollte auch gegen Altersangaben, negativ entschiedene vorläufige Vulnerabilitätsprüfungen und die Verpflichtung zum Verbleib im Grenzverfahren einschlägig sein.

KEINE INHAFTIERUNG SCHUTZSUCHENDER MENSCHEN

Die unterzeichnenden Organisationen befürchten, dass die Reform durch das Außengrenz-Screening und neue Grenzverfahren zur (de facto) Inhaftierung von Schutzsuchenden führen wird, was ihre psychische Belastung erhöhen und faire Asylverfahren erschweren würde. Allein die Tatsache, dass die asylsuchende Person theoretisch ausreisen könnte - und damit auch ihren Asylantrag zurückziehen würde -, reicht nicht, um eine Freiheitsentziehung tatbestandlich zu verneinen. Letztlich kommt es nicht auf die Bezeichnung an, sondern auf die tatsächlichen Umstände. Besonders problematisch sind Situationen der de facto Inhaftierung, in denen den Personen Richtervorbehalt und Klagemöglichkeiten vorenthalten werden.

1. Keine Haft während des Screenings: Gem. Art. 6 und Art. 7 Abs. 1 Screening-VO müssen die Mitgliedstaaten Regeln erlassen, um sicherzustellen, dass die Personen sich dem Screening nicht entziehen. Hierfür sollten klare Alternativen zur Haft wie Meldeauflagen festgelegt werden, da die Inhaftierung stets nur als letztes Mittel angewendet werden darf (vgl. ErwG. 11 und Definition der Inhaftnahme in Art. 2 Abs. 12 Screening-VO). Gerade beim Screening im Inland ist auch nicht mit Fluchtgefahr zu rechnen - denn die Menschen wollen in Deutschland ihr Asylverfahren durchlaufen. Somit wären auch keine Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gerechtfertigt.

2. Keine (de facto) Haft während des Grenzverfahrens: Asylsuchende dürfen nicht inhaftiert werden, nur weil sie einen Asylantrag gestellt haben oder aus einem bestimmten Staat sind. Die Möglichkeit, Asylsuchende während des Grenzverfahrens zu inhaftieren, ist vor diesem Hintergrund und angesichts der vorgesehenen Dauer der Grenzverfahren mehr als Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland fragwürdig (Art. 10 Abs. 4 d AufnahmeRL). Auch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit - z.B. durch Beschränkung auf eine Unterbringung - muss individuell begründet werden, z.B. mit Fluchtgefahr (Art. 9 Abs. 1 AufnahmeRL). Eine Fluchtgefahr ist idR nicht anzunehmen, wenn die Menschen in Deutschland Asyl bekommen wollen.

3. Keine Inhaftierung bei der Gefährdung von vulnerablen Personen: Die Inhaftierung von Schutzsuchenden mit besonderen Bedürfnissen ist ausgeschlossen, wenn die Haft ihre körperliche und psychische Gesundheit ernsthaft gefährdet (Art. 13 Abs. 1 UA 2 AufnahmeRL). Dieser Ausschlussgrund muss explizit gesetzlich geregelt werden. Für die effektive Umsetzung bedarf es einer von Amts wegen zu erfolgenden ärztlichen und psychologischen Untersuchung vor Inhaftnahme, um die etwaige Gesundheitsgefährdung zu prüfen. Kinder sollten nie inhaftiert werden, da eine Haft im Asylverfahren dem Kindeswohl immer zuwiderläuft (vgl. ErwG. 31 und 40 sowie Art. 13 Abs. 2 und Art. 26 AufnahmeRL).

4. Haftbedingungen: Die Inhaftierung von Asylsuchenden darf keinen Strafcharakter haben (Art. 10 Abs. 1 S. 3 AufnahmeRL). Daher ist zwingend eine gesonderte Unterbringung nötig, die sich von Strafhaft unterscheidet (z.B. eigene Kleidung, Mobiltelefonnutzung). Inhaftierte Schutzsuchende müssen Beratung und Besuch empfangen können und Einschlusszeiten sollten minimal sein. Die Höchstfristen für die Überprüfung der Haftanordnung gemäß Art. 10 Abs. 3 UA 1 AufnahmeRL müssen gesetzlich verankert werden.

KINDER SCHÜTZEN UND UNTERSTÜTZEN

Kinder und Jugendliche gehören zu den besonders vulnerablen Personen und haben spezielle Bedarfe und Rechte, die berücksichtigt werden müssen. Ihre besonderen Rechte, allen voran das Kindeswohl, müssen zu jeder Zeit gewährleistet sein, egal woher ein Kind kommt oder welchen Aufenthaltsstatus es hat. Dies muss sich auch bei der Umsetzung der GEAS-Reform durchsetzen. Dabei gilt es insbesondere folgende Punkte zu beachten:

1. Primäre Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete: In Deutschland gilt das Primat der Jugendhilfe nach SGB VIII. Die öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe sind vorrangig für die Unterbringung, Versorgung und Vertretung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zuständig. Die vorläufige Inobhutnahme erfolgt durch die Jugendämter und die Feststellung besonderer Schutzbedarfe muss ausschließlich im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe verbleiben. Der Alterseinschätzung bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (als Zugangs-voraussetzung für den Minderjährigenschutz) kommt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu. Sie muss daher zwingend in der Verantwortung der Jugendämter bleiben.

2. Zulässigkeitsentscheidung: Bei der Überstellung von Minderjährigen ist Art. 24 GRCh zu beachten. Unbegleitete minderjährige Geflüchtete sollten daher nie überstellt werden, es sei denn dies dient nachweislich dem Kindeswohl.

3. Keine segregierte Beschulung: Minderjährige haben den gleichen Zugang zu Bildung wie deutsche Staatsangehörige und sind mit ihnen in einer Schule zu unterrichten (Art. 16 AufnahmeRL). Es muss gewährleistet sein, dass minderjährige Schutzsuchende schnellstmöglich in das reguläre Schulsystem aufgenommen werden. Die ausschließliche und segregierende Beschulung in Unterbringungszentren und/oder Willkommensklassen ist mit der neuen AufnahmeRL unvereinbar. Die Schulgesetze der Länder müssen dies normieren.

SCHUTZSUCHENDE MENSCHENWÜRDIG VERSORGEN

In Deutschland asylsuchende Menschen müssen menschenwürdig versorgt und aufgenommen werden. Dies ist auch Grundlage dafür, dass das Erlernen der Sprache, die Arbeitssuche und letztendlich die gesellschaftliche Teilhabe gelingen können. Ein ausgrenzendes Sondergesetz, wie Zivilgesellschaftliche Prioritäten für die gesetzliche Umsetzung der GEAS-Reform in Deutschland das Asylbewerberleistungsgesetz, verletzt nach Sicht der unterzeichnenden Organisationen die Menschenwürde und muss abgeschafft werden. Bis das geschieht, sind angesichts der neuen Aufnahmerichtlinie vor allem folgende Änderungen vorzunehmen:

1. Asylbewerberleistungsgesetz als absolutes Minimum: Die Leistungen nach dem AsylbLG liegen auf dem niedrigsten Niveau, das geleistet werden muss, um ein menschenwürdiges Leben entsprechend Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 34 Abs. 3 GRCh zu gewährleisten. Die bereits bestehenden Sanktionen nach dem AsylbLG sind verfassungs- und europarechtswidrig. Auch die Aufnahmerichtlinie gibt klar vor, dass für alle Geflüchteten ein der Charta und internationalen Verpflichtungen entsprechender Lebensstandard und voller Zugang zu Gesundheitsleistungen des Art. 22 ohne Ausnahme zu gewähren ist (Art. 23 Abs. 4 S. 3 AufnahmeRL). Die Kürzungen des AsylbLG sind somit abzuschaffen und es dürfen keine neuen eingeführt werden. Dies gilt insbesondere auch bei “Dublin-Entscheidungen” (Art. 18 Abs. 1 UA 2 AMM-VO, Art. 21 Abs. 1 S. 2 AufnahmeRL).

2. Anpassung der Gesundheitsleistungen und elektronische Gesundheitskarte: Die Ergänzungen zu Gesundheitsleistungen nach Art. 22 AufnahmeRL, einschließlich der Gesundheitsversorgung im Bereich reproduktiver und sexueller Gesundheit sowie Heil- und Hilfsmittel, sollten konkret im deutschen Sozialgesetz verankert werden. Ein behördliches Ermessen und Antragsverfahren, wie nach § 6 AsylblG vorgesehen, ist nicht mit Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie vereinbar. Um Verfahren zu entbürokratisieren und eine angemessene Qualität der medizinischen Versorgung sicherzustellen (vgl. Art. 22 Abs. 1 S. 3 AufnahmeRL), sollte für alle Geflüchteten flächendeckend die elektronische Gesundheitskarte (EGK) eingeführt werden. Dies gilt insbesondere bei Kindern, die nach der neuen AufnahmeRL Anspruch auf dieselbe Art der Gesundheitsversorgung haben wie Staatsangehörige (Art. 22 Abs. 2 AufnahmeRL).

3. Zweifel an Bezahlkarte: Aus den Vorgaben der AufnahmeRL, insbesondere Art. 19 Abs. 2, ergeben sich erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bezahlkarte in ihrer aktuellen Form. Die starke Einschränkung der ökonomischen Autonomie gewährleistet keinen „angemessenen Lebensstandard“ im Sinne des Art. 19 Abs. 2 AufnahmeRL. Geflüchteten muss “ein Mindestmaß an Eigenständigkeit” ermöglicht werden, was durch die Bezahlkarte nicht erreicht wird (ErwG. 8 S. 1 AufnahmeRL). Eine Kombination aus Gutscheinen, Sach- und Geldleistungen ist zwar zulässig, solange ein Geldbetrag enthalten ist (ErwG. 8 S. 2 AufnahmeRL). Ein symbolischer Betrag von 50 Euro im Monat, der Geflüchtete vom sozialen Leben ausschließt, erfüllt die Mindeststandards der AufnahmeRL jedoch voraussichtlich nicht.

Unterzeichnende Organisationen (alphabetisch)

  • Amnesty International Deutschland e.V.
  • Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein
  • Ärzte der Welt e.V.
  • AWO Bundesverband e.V.
  • BumF e.V.
  • Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer - BAfF e.V.
  • Bundesarbeitsgemeinschaft PRO ASYL e.V.
  • Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V.
  • Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
  • Diakonie Deutschland Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.
  • Die Sputniks e.V. Vereinigung russischsprachiger Familien mit Kindern mit Beeinträchtigungen in Deutschland
  • Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung
  • Handicap International e.V.
  • Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL)
  • Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland
  • Jugendliche ohne Grenzen in Deutschland e.V.
  • Kindernothilfe e.V.
  • KOK - Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
  • Landesflüchtlingsräte
  • Lesben- und Schwulenverband Deutschland e.V.
  • National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
  • Neue Richter*innenvereinigung e.V. (NRV)
  • Republikanischer Anwältinnen und Anwälteverein e.V. (RAV)
  • Save the Children e.V.
  • SOS-Kinderdorf e.V.
  • terre des hommes Deutschland e.V.
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