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Islam

Friedensbotschaft und Trauer um getötete Christen in Ägypten

Rita DeschnerBundesinnenminister Thomas de Mazière hört den Worten des Großscheichs zuBundesinnenminister Thomas de Mazière hört den Worten des Großscheichs zu

„Muslime sind Teil unsere Volkes und Teil unseres Landes.“ Dafür sprach sich Innenminister de Maizière auf dem Kirchentag aus. Auf der Bühne stand auch eine der größten Autoritäten des sunnitischen Islams. Wie reagierten beide auf die Nachricht über den Anschlag auf Christen in Ägypten?

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Großscheich al-Azhar Bundesinnenminister Thomas de Mazière singt
Zentrum OekumeneAndreas HerrmannDr. Andreas Herrmann ist Referent für interreligiösen Dialog mit dem Schwerpunkt Islam im Zentrum Ökumene der EKKW und EKHN

„Und was sagt die islamische Welt, wenn es wieder einen terroristischen Anschlag gab?“ so lauten teilweise Kommentare auf der facebook-Seite der EKHN. Ein neues, furchtbares Attentat forderte die Antwort heraus. Während eines Gesprächs auf dem Kirchentag mit Großscheich al-Azhar, der höchste Autorität des sunnitischen Islams, und Bundesinnenminister Thomas de Mazière, hatte unvermittelt der Minister das Wort ergriffen. Der Innenminister hatte eine Nachricht erhalten und informierte drüber, dass es in Ägypten einen Anschlag auf einen Bus mit koptischen Christen gab, bei dem 24 Menschen starben. De Mazière warnte davor, voreilige Schlüsse zu ziehen.

Schweigeminute für die getöteten Christen in Ägypten

„Ich spreche mein Beileid aus“, lauteten die ersten Worte von Sheikh Ahmad al-Tayyeb, dem Großscheich aus Kairo. Er vermutete, dass die Täter die Stabilität in Ägypten erschüttern und Christen und Muslime gegeneinander aufbringen wollten. Allerdings räumte er ein: „Es gibt auch Spannungen unter den Bevölkerungsgruppen. Aber es sind normale Probleme zwischen Muslimen und Kopten, wie es sie in jeder Gesellschaft gibt.“ Dabei wies er darauf hin, dass auch zahlreiche Muslime als Polizisten und Zivilisten bei den Unruhen der vergangen Jahre ums Leben gekommen seien. Zum Abschluss der Veranstaltung „Toleranz und friedliches Zusammenleben“ rief der Großscheich zu einer Schweigeminute auf, um der getöteten Christen zu gedenken. Alle Besucherinnen und Besucher in Halle 20 auf dem Berliner Messegelände kamen der Aufforderung um 13 Uhr nach. Bereits eine Stunde zuvor hatten sie schweigend der ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer gedacht. Den Teilnehmenden und den Menschen, die über die Medien von der Veranstaltung erfahren, hatte der Bundesinnenminister ans Herz gelegt: „Nach der bitteren Nachricht aus Ägytpen ist die Botschaft des Friedens von Großscheich al-Azhar ein wunderbares Zeichen. Ich hoffe, dass Menschen in Deutschland diese Botschaft gehört haben.“ Seine Botschaft, hatte der Großscheich, der von seinen Gesprächspartnern mit „Exzellenz“ angesprochen wurde, in seinem Vortrag erläutert.

Geschichte erinnert auch an gute Beziehungen zwischen Muslimen und Christen

„Gottes Worte sind voll von Aufrufen zu Frieden und zur Brüderlichkeit“, hatte der Großscheich al-Azhar erklärt. Er sagte, dass Noah, Moses, Jesus bis zum Siegel der Propheten - Mohammed - sich alle gegenseitig bestätigten und aufeinander aufbauten.  Er erklärte: „Es gibt so viele Ähnlichkeiten in den Religionen, weil die Quelle die selbe ist.“ Die himmlischen Religionen seien letztlich Friedensbotschaften an die Menschen, ja, an die gesamte Natur. Er erklärte, dass es im Islam nicht gestattet sei, Waffen einzusetzen, außer zur Selbstverteidigung. Laut Großscheich al-Azhar blicke der Islam auf Christen mit Menschlichkeit. So erwähne der Koran die Bibel respektvoll als Rechtleitung und Licht, wobei der Koran sich selbst als Bestätigung bezeichne. Er berichtete: „Mit Freude sage ich, dass die Texte der Fatwa  Christen mit den besten Eigenschaften benennen. Sie seien friedlich, wenn es Streit gebe, erholten sich schnell von Rückschlägen, seien entscheidungsfreudig und gut zu Waisen und Armen.“  Zudem erinnerte er daran, dass die ersten Muslime Schutz bei einem christlichen König in Äthiopien fanden. Er erklärte: „Der Prophet setzte auf das christliche Äthiopien, weil es sich um eine Bruderreligion handelt.“ Allerdings stellte er auch fest, dass Muslime sich nicht immer „engelsgleich und vorbildlich“ verhalten hätten und dass es auch Spannungen und Übergriffe gegeben hätte. Aber dies komme  auch in anderen Gesellschaften vor, in denen Menschen aus unterschiedlichen Religionen und Kulturen zusammenleben.

„Terror kann kein Werk von Gottes Gläubigen sein“

Beim Thema Terror und Gewalt wurde der Großscheich deutlich: „Terror kann kein Werk von Gottes Gläubigen sein.“ Eine Aussage, die viel Beifall erhielt. Zuvor hatte er betont, dass er seine Teilnahme nutzen wolle um mitzuteilen, dass diese Verbrechen verabscheuungswürdig seien. In seinem Vortrag äußerte der Islamgelehrte die Auffassung, dass der Islam als Religion nicht die Ursache von Gewalt und Terror sei. Auf Anfragen aus dem Publikum hatte er später weiter präzisiert: „Gewalt ist nicht Element dieser Religion. Und jeder, der sagt, dass der Islam zur Gewalt gegen andere aufruft, ist unwissend oder er will Falschinformationen verbreiten.“ Er bat auch darum, im Westen kein falsches Bild über den Islam zu kommunizieren. Er wünschte sich: „Wir müssen die Kultur des Hasses beenden und Brücken bauen, damit Menschen so leben können, wie es im 21. Jahrhundert angemessen ist.“ Vor allem baue er auf die Jugend, die eine Welt ohne Kriege aufbauen solle. Laut Großscheich al-Azhar sollten es die Religionen schaffen, dass „der Ruf des Muezzins und die Kirchenglocken zusammen verkünden: keine Gewalt.“

Anerkennende Worte des Ministers

Der Vortrag erhielt die Anerkennung des Ministers Thomas de Mazière: „Ich bin richtig froh, dass Sie die Gelegenheit zu dieser großen Friedensbotschaft genutzt haben.“ Und er verriet: „Ich habe einen Traum: Wie wäre es, wenn Kirchenführer und islamische Geistliche tatsächlich einen Tag verabreden, an dem der Muezzinruf und Glocken für den Frieden über die ganze Welt erklingen könnten. Das wäre eine starke Botschaft.“ 

In seinem Vortrag bemerkte de Mazière, dass uns 500 Jahre nach der Reformation heute die Globalisierung vor neue Tatsachen stelle. Er präzisierte: „Sie zwingt zu neuem Verständnis von Toleranz.  Religionen können einander nicht mehr aus dem Weg gehen.“  Dabei tauchten neue Fragen auf wie: Braucht es eine neue, interreligiöse Ethik, ohne den eigenen Glauben aufzugeben? Dabei appellierte er an die gemeinsame Verantwortung der Religionen, ein friedliches  Zusammenleben zu organisieren. Der Innenminister machte aber auch deutlich: „Toleranz braucht das Wissen um Streit.“ Ein sachlicher Streit bedeute auch: „Du bist mir wichtig.“ Und er erklärte: „Wenn ein Streit respektvoll und sachlich geführt wird, führt das eher zu Annäherung statt zu Entfremdung.“  De Mazière plädierte auch dafür, sich der eigenen Identität bewusst zu sein, erst kann könne man sich in das Verhältnis zu anderen setzen. Schließlich machte er klar: „Muslime sind Teil unsere Volkes und Teil unseres Landes.“ Die Integration von Muslimen und Nichtmuslimen werde gefördert, aber er sagte auch: „Ich fordere auf, unsere Grundwerte zu akzeptieren.  Wir zeigen Respekt und fordern Respekt ein.“

Impulse aus dem Islam zur Religionsfreiheit

Laut FAZonline habe Großscheich al-Azhar schon früh die Taten der Terrormiliz IS als „verbrecherisch“ verurteilt. Sheikh Ahmad al-Tayyeb ist Großimam der al-Azhar-Moschee und Rektor der al-Azhar-Universität in Kairo. „Im Frühjahr dieses Jahres hat die al-Azhar-Universität eine Erklärung mit einem Impuls an politisch Verantwortliche in muslimisch geprägten Ländern veröffentlicht, sich für Religionsfreiheit einzusetzen“, erklärte Pfarrer Dr. Andreas Herrmann, Referent für den interreligiösen Dialog mit dem Islam im Zentrum Oekumene der EKHN und EKKW, bereits vor dem Kirchentag. Damit habe sich die Universität des Großscheichs an die Marrakesch-Deklaration angelehnt, die über 250 muslimische religiöse Autoritäten im Januar 2016 verabschiedet hatten. Darin heißt es u.a.: „Wir rufen alle gebildeten, wissenden und kreativen Mitglieder unserer Gesellschaften … auf, eine breite Bewegung im Sinne gerechter Behandlung religiöser Minoritäten in muslimisch dominierten Ländern zu bilden.“ Islam-Referent Herrmann regt an, diese wichtigen Impulse aus der islamischen Welt wahrzunehmen und wertzuschätzen.

Rolle der Religionen in Leitkultur-Debatte

Ende April 2017 hatte Bundesinnenminister Thomas de Mazière zehn Punkte für eine deutsche Leitkultur in der Bild am Sonntag bekannt gegeben. Eine These lautete, dass Religion der Kitt der Gesellschaft sei und dass ein solcher Kitt in der christlichen Kirche, in der Synagoge und in der Moschee entstehe. „Ich stimme dem Innenminister zu, dass religiöse Gemeinschaften die Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung mittragen. Wir brauchen es mehr denn je, dass Religionsgemeinschaften Impulse für ein Miteinander in den Stadtteilen und in den Dörfern geben“, erklärt der evangelische Islam-Experte Andreas Herrmann.

Kritik an Burka-Verbot

Doch Andreas Herrmann sieht auch kritische Punkte unter den Leitkultur-Thesen, wie den Satz des Ministers „Wir sind nicht Burka“ – gerade vor dem Hintergrund, dass der Deutsche Bundestag am 27. April gesetzlich festgeschrieben habe, dass es untersagt sei, sein Gesicht zu verhüllen; Ausnahmen seien gesundheitliche oder dienstliche Gründe. „Tatsächlich bin ich auch irritiert, wenn ich eine Frau mit Burka sehe. Doch ich halte es für falsch, ein Verbot auszusprechen.“ Zudem wurde der Anschein erweckt, dass es bei der Burka, einem Ganzkörperschleier, um eine Sicherheitsfrage gehe.

Mehr Gelassenheit bei verweigertem Handschlag

Auch der Hinweis de Maizières „Wir geben uns zur Begrüßung die Hand“, hinterfragt Pfarrer Andreas Herrmann. Ihn erstaune es zwar auch, wenn ihm eine muslimische Frau zur Begrüßung nicht die Hand geben möchte. „Eine solche Situation ist aber eine gute Gelegenheit, um über unterschiedliche Deutungen der gleichen Situation ins Gespräch zu kommen. Für manche Muslime könnte dies beispielsweise ein Respektsbezeugung sein“, so der Islam-Referent. Dabei empfiehlt er mehr Gelassenheit und weniger rigorose Reaktionen wie „Das geht ja gar nicht!“ In anderen Situationen sei allerdings eine klarere Kante gefragt, wenn beispielsweise ein muslimischer Vater nicht mit einer Lehrerin sprechen möchte. Grundsätzlich ermutigt Andreas Herrmann jedoch zu einem breiteren und flexibleren Verhaltensrepertoire.

Positive Haltung zur deutschen Sprache wahrgenommen 

Durch seine Kontakte mit Muslimen erlebt Islam-Referent Herrmann, wie offen und begabt viele Muslime sind, die deutsche Sprache zu erlernen. Er berichtet von seinen Erfahrungen: „Gerade habe ich eine muslimische Nigerianerin kennen gelernt, die sich schon nach zwei Jahren sehr sicher in Deutschland bewegt. Mein Eindruck war, dass sie sehr neugierig und offen auf das Leben vor Ort zugeht.“

Begegnungen gegen die Angst

Doch Herausforderungen gibt es. So hat NDR-Redakteur Constantin Schreiber bei seiner Recherche in Moscheen entdeckt, dass dort zum Teil gegen Integration gepredigt werde. Zudem hätten Flüchtlinge berichtet, dass die Predigten in Deutschland oft konservativer seien als in ihren Heimatländern. Auch Pfarrer Herrmann nimmt wahr, dass bei einigen Menschen aus dem arabischen Raum und der Türkei eine Stimmung vorhanden sei, sich abzugrenzen. Vor allem die Eltern der heutigen Generation stünden vor dem Dilemma, ihren muslimischen Glauben und ihre Traditionen in einem westlich-liberal geprägten Umfeld zu bewahren. Hier hätten Klischees bezüglich des westlichen Lebensstils einen gewissen Einfluss, wie: zu dekadent, zu viel Alkohol oder zu freizügige Kleidung. „Einige Muslime haben Angst, dass die westliche Liberalität zur Gefahr für ihren Glauben werden könnte“, erklärt der Islam-Experte Herrmann. Er zeigt einen Ausweg auf: „Hier helfen nur Begegnungen und Kontakte, um die eigenen Vorstellungen der Realität anzupassen.“
Während der Podiumsdiskussion hatte Innenminister de Mazière angekündigt, dass es eine Kooperation zwischen der Berliner Humbolduniversität und der al-Azahr-Universität in Kairo geben werden, damit künftige Imame in Deutschland einen Islam des Friedens predigen werden.

Die drei größten Vorurteile gegenüber dem Islam im Check:

Abschließend nimmt Islam-Referent Dr. Andreas Herrmann Stellung zu den drei größten Vorurteilen gegenüber dem Islam:

Muslimische Frauen werden unterdrückt > Die Einführung des Islam war ein Fortschritt für arabische Frauen
Bei Vorträgen wird Andreas Herrmann häufig mit der Annahme konfrontiert, dass muslimische Frauen nicht gleichberechtigt mit Männern sind und sie ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche kaum umsetzen können.
Hier empfiehlt der Islam-Referent einen differenzierten Blick: Vor der Einführung des Islam konnten arabische Frauen als Besitz vererbt werden. Der Koran hatte diese Praxis eingeschränkt, er gesteht Frauen zu, selbst erben zu können. Mit Blick auf die Geschichte habe der Koran einige Frauenrechte gestärkt. Dennoch sei es gegenwärtig eine Tatsache, dass in vielen muslimisch geprägten Ländern Frauen sich den Regeln des Patriarchats anpassen müssten, beispielsweise werden sie zum Teil aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Die Ursache dafür sieht er allerdings nicht hauptsächlich im Islam. Andreas Herrmann erklärt: „Hier handelt es sich auch um patriarchale Strukturen, die es weltweit gibt.“

Das Kopftuch ist ein Symbol der Unterdrückung > Auch beruflich erfolgreiche Frauen tragen Kopftuch

So mancher sieht das innere Bild vor Augen: Hier die stylische, selbstbewusste, westliche Frau und dort die Muslima mit Kopftuch, die einige Schritte hinter ihrem Mann geht. Manche muslimische Frauen berichten allerdings recht selbstbewusst, dass sie gerne und aus freier Entscheidung das Kopftuch tragen. Pfarrer Herrmann hält es für sinnvoll, sich daran zu gewöhnen, dass „Verkäuferinnen, Lehrerinnen oder Medizinerinnen mit Kopftuch im öffentlichen Leben zu sehen sind.“ Allerdings unterstützt er das Ansinnen, über Geschlechterrollen nachzudenken, sich dabei allerdings nicht einseitig auf den muslimischen Kontext zu beschränken.

Der Islam ist eine Ursache für Gewalt > Es gibt liberale Muslime, deren Aussagen aber wenig wahrgenommen werden

Zum Teil nimm Andreas Herrmann wahr, dass dem Islam unterstellt werde, dass er zur Gewalt aufrufe, demokratiefeindlich und frauenfeindlich sei. Allerdings begegne er vielen liberal denkenden Muslimen, die sich für Frieden und Demokratie engagieren. Er hat beobachtet: „Ihre Aussagen werden zwar gehört, aber sie kommen nicht wirklich an. Es wäre schön, wenn wir den konstruktiven Signalen mehr Raum geben könnten.“

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