Kirchenpräsident und Zentrum Ökumene
Kopftuch-Urteil als Signal für Religionsfreiheit
istockphoto/michaeljung
16.03.2015
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„Speziell beim Kopftuch haben die Richter eine kluge Entscheidung getroffen. Sie haben das Recht auf freie Ausübung der Religion konsequent auch auf den Islam angewandt. Deshalb darf es kein pauschales Kopftuchverbot geben“, erklärt Dr. Volker Jung, der Kirchenpräsident der EKHN, in Darmstadt. Damit bezieht er sich auf die Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. März 2015, wonach ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen mit der Verfassung nicht vereinbar sei. An dem Beschluss schätzt Jung, dass das Gericht die gebotene Neutralität des Staates nicht so verstanden habe, dass die Schule eine „religionsfreie Zone“ sein müsse.
Den Schulfrieden wahren
Laut dem Verfassungsgericht darf eine religiöse Bekundung nur dann verboten werden, wenn eine hinreichend konkrete Gefährdung den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität beeinträchtigt. Kirchenpräsident Jung erläutert: „Damit haben die Verfassungsrichter die Möglichkeit eingeräumt, das Tragen des Kopftuchs dort zu verbieten, wo es den Schulfrieden gefährdet. Das dürfte immer dann der Fall sein, wo es bewusst zur Provokation eingesetzt wird.“ Jung geht deshalb davon aus, dass auch andere religiöse Kleidung verboten werden könne, wenn sie den Schulfrieden gefährde. Jung macht sich Gedanken, welche Auswirkungen dies für die Praxis vor Ort haben kann: „Der Beschluss mutet Entscheidungsträgern vor Ort einiges zu, bietet aber auch jeweils die Chance zu einem klärenden Diskurs, wie das friedliche Zusammenleben gestaltet werden kann.“
Verfassung garantiert Recht auf Religionsfreiheit
Gastbeitrag von Susanna Faust Kallenberg, Referentin für interreligiösen Dialog im Zentrum Oekumene der EKHN und der EKKW
Es ist im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes wichtig, dass alle Religionsgemeinschaften dieselben Rechte haben. Für die Kirchen ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes hilfreich. Die Kräfte in unserer Gesellschaft, die antireligiös sind und einen laizistischen Staat und ein religionsneutrales Schulsystem verlangen, sind auf dem Vormarsch. Sie argumentieren ebenfalls mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und kritisieren die Privilegien der Kirchen. Wenn die Religionsfreiheit für alle Religionsgemeinschaften gleichermaßen gilt, sind das keine Privilegien mehr, sondern religiöse Rechte, die die Verfassung garantiert.
Tür für bessere Integration geöffnet
Es ist außerdem ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Integration der Muslime. Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass das Kopftuch bei jungen Musliminnen nicht zwangsläufig ein Zeichen für Fundamentalismus oder Unterdrückung ist, sondern in den meisten Fällen ein Identitätsmarker einer selbstbewussten Religiosität.
Berufliche Perspektiven für Musliminnen
Die Debatte über das Hessische Kopftuchgesetz, das ja eines der weitreichendsten Kopftuchgesetze in Deutschland ist, weil es nicht nur Lehrerinnen, sondern auch Richterinnen, Polizistinnen und andere Beamtinnen betrifft, hat zu starken Verunsicherungen geführt. So kritisiert z.B. die Polizei, dass es ihr an muslimischen Polizistinnen mangelt. Das Kopftuchverbot hatte außerdem Auswirkungen auf die Einstellungen von Kopftuchtragenden Musliminnen auf dem privaten Arbeitsmarkt. Islamische Theologiestudentinnen an den Islamischen Zentren in Frankfurt, Tübingen, Erlangen …, die ein Kopftuch trugen, studierten ohne berufliche Zukunftsperspektive. Allein in Hessen gibt es mehrere Fälle Kopftuch tragender Referendarinnen, die keine Schule für ihr Referendariat finden konnten, obwohl sie gesetzlich ein Recht darauf haben, weil die Direktoren keine islamistischen Referendarinnen in ihren Schulen haben wollten. In Hessen, dem ersten Bundesland mit Bekenntnis orientiertem Religionsunterricht ist das eine absurde Situation.
Zugang zu Eltern muslimischer Schüler offener
Aus anderen Bundesländern, in denen Kopftuch tragende Lehrerinnen unterrichten, weiß man, dass gerade diese Lehrerinnen viel leichter eine stärkere Einbindung muslimischer Eltern und eine größere Akzeptanz von Schule überhaupt bei muslimischen Schülern erreichen können. Erfahrungen haben gezeigt, dass dort wo muslimische Lehrerinnen das Kopftuch als Ausdruck selbstbewusster Religiosität tragen und dies ihren Schülerinnen vermitteln können, dies für muslimische Schülerinnen und Schüler ein wichtiger Orientierungspunkt ist. Sie erleben ihre eigene Religion positiv und erhalten einen Referenzrahmen für eine gesunde Frömmigkeit, der es ihnen ermöglicht, sich von extremistischen Ideologien, wie dem Salafismus abzugrenzen. Salafisten und fundamentalistische islamische Extremisten haben bisher die Tatsache instrumentalisiert, dass fromme junge Kopftuch tragende Lehramtskandidatinnen in Hessen keine Stelle bekommen. Dieses Gesetz hat ihre Opferhaltung untermauert und jungen Muslimen einen Grund gegeben, sich gegen eine Verfassung zu stellen, die aus ihrer Sicht nicht gerecht ist.
Abgrenzung zum Fundamentalismus
Ja. Entscheidend ist nicht das Kopftuch als solches, sondern was unter dem Kopftuch steckt. Handelt es sich da um eine junge gebildete selbstbewusste Muslimin, für die ihr Kopftuch ein Zeichen eines gesunden Glaubens ist, dann ist das kein Grund, ihr ein Berufsverbot zu erteilen. Sichtbarkeit von Religion ist nicht aus sich heraus negativ. Handelt es sich aber um eine muslimische Lehrerin, die in ihrem Unterricht alle Mädchen dazu zwingen möchte, das Kopftuch zu tragen, dann darf diese natürlich nicht angestellt werden. Um das eine vom anderen zu unterscheiden, gibt es im hessischen Schulgesetz die Einzelfallregelung. Ein pauschales Kopftuchverbot war nie notwendig. Bevor Lehrer angestellt werden, wird geprüft, ob ihre Haltung mit dem Grundgesetz übereinstimmt, das gilt nicht nur für die religiöse, sondern auch für die politische Überzeugung. Im begründeten Einzelfall kann ein Berufsverbot ausgesprochen werden, eine Einstellung abgelehnt werden, oder jemand der erst während seiner Berufstätigkeit auffällig wird, vom Dienst suspendiert werden. Das heißt, es gibt genügend rechtliche Handhabe um SchülerInnen im Ernstfall vor ideologischem Missbrauch zu schützen.
Musliminnen in evangelischen Kindertagesstätten der EKHN
Bisher gibt es keine allgemein gültige rechtliche Grundlage für muslimische Erzieherinnen oder Lehrerinnen in kirchlichen Einrichtungen in der EKHN. Es gilt die ACK-Klausel. Das heißt, angestellt werden können Erzieherinnen oder Lehrerinnen, die Mitglied einer Kirche sind, die wiederum Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland ist. In der EKHN gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, in begründeten Einzelfällen muslimische Erzieherinnen einzustellen. Dies ist vor allem in kirchlichen Kindertagesstätten in Rheinhessen der Fall, wo das Land Rheinland-Pfalz ab einem bestimmten Prozentsatz an muslimischen Kindern, eine muslimische Erzieherin mitfinanziert. Eine allgemeine rechtliche Regelung gibt es bisher nicht. Im Sinne einer interkulturellen Öffnung der EKHN als Arbeitgeber wird dies jedoch im Moment diskutiert. Über kurz oder lang wird man dann auch darüber reden müssen, ob muslimische Erzieherinnen in evangelischen Kindertagesstätten Kopftuch tragen dürfen. Hier sind jedoch die Kirchen in ihren Entscheidungen nicht an das Bundesverfassungsgericht gebunden. Als religiöse Körperschaften des öffentlichen Rechtes können sie für ihre eigenen Einrichtungen die Bedingungen selbstständig festlegen.