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Buchtipp

Mit Interview: Pfarrer schreibt Gedichte über Tod und Trauer

Holger Becker-von WolffDer ehemalige Pfarrer Wolfhard Düver will mit den Gedichten und kurzen Texten dem Tod eine lange Nase machen – und weiß zugleich, wie schmerzhaft und erschütternd jede Begegnung mit ihm sein kannDer ehemalige Pfarrer Wolfhard Düver will mit den Gedichten und kurzen Texten dem Tod eine lange Nase machen – und weiß zugleich, wie schmerzhaft und erschütternd jede Begegnung mit ihm sein kann

Mit Tod und Trauer musste sich der Pfarrer Wolfhard Düver während seiner Arbeit oft auseinandersetzen. Dann starben innerhalb von nur zehn Tagen seine beiden Eltern. Verarbeitet hat er diese Erfahrungen in dem Gedichtband „einsachtzig unter oben“.

Trauer, Tod und Sterben haben den Gemeindepfarrer Wolfhard Düver in Bergen an der Dumme und Mittenaar-Bicken (Dekanat an der Dill) stets begleitet und sein aktives Berufsleben als evangelischer Pfarrer bestimmt. Menschen beistehen, sie in ihrer Trauer begleiten, gehörte zu seinem Gemeindedienst dazu. In „einsachtzig unter oben“ verarbeitet der Rentner Düver Erlebnisse, Erfahrungen und Einsichten rund um die Themen Sterben, Tod, Trauer und Leben. 

Der Tod seiner Eltern, die 2009 nur zehn Tage nacheinander starben, führte ihn als 60-Jährigen zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Sterben. Viele der veröffentlichten Texte entstanden in dieser Zeit. Der Titel „einsachtzig unter oben“ will den Blick aus dem ausgehobenen Friedhofsgrab ins Leben wenden. Die Gedanken sollen nicht beim Tod stehen bleiben. 

Das Buch bietet auf 115 Seiten und in neun Kapiteln etwa 100 Gedichte und Aphorismen zu Trauer, Tod und Vergänglichkeit. „einsachtzig unter oben“ ist keine Lektüre zum Durchlesen von vorne bis hinten, es ist ein Buch zum Blättern. Die kurzen Texte wirken einzeln, etwa bei „mit toten leben“:

mit toten leben
ist manchmal leichter als mit
lebenden sterben

Es ist spürbar, dass hier ein Mensch trauert, seinen Gedanken nachgeht. Wolfhard Düver will dabei nicht immer ernst bleiben, sondern dem Tod eine „lange Nase machen“, wie er selbst im Interview erklärt:

Herr Düver, warum haben Sie ein Buch zu Tod und Sterben geschrieben? 

Wolfhard Düver: Tabus habe ich mein Leben lang gehasst. In unzähligen Trauerhäusern habe ich die Hilf- und Sprachlosigkeit der Menschen erlebt. Eine der Entstehungsgründe dieses Büchleins ist das Ziel, Tabus, wenn schon nicht zu durchbrechen, so doch wenigstens ein wenig aufzubrechen. Und den Leserinnen und Lesern nicht Floskeln, sondern aus eigener Trauer und Todesbegegnung erwachsene Worte an die Hand zu geben und in den Mund zu legen.

Darf man über den Tod Witze machen und lachen?

Düver: Ich liebe die barock-derbe Art, sich auf Kosten des Todes auf die Schenkel zu kloppen – immer vor dem österlichen Hintergrund. Man lese nur Osterpredigten aus jener Zeit, die immer schallendes Ostergelächter zum Ziel – und zur Folge hatten. Oder man vertiefe sich beispielsweise in jüdische Witze. Wie darin vom Tod erzählt und über ihn gelacht wird, zeugt von einem tiefen, nahezu unerschütterlichen Gottvertrauen. Wenn wir heutigen Christen weithin nicht mehr über den Tod lachen können, dann zeigen wir nur, wie weit es mit unserem Glauben an den Auferstandenen her ist. Allerdings gilt auch für uns Prediger 3. Da steht: „Alles hat seine Zeit…“ – auch das Witzemachen über den Tod.

Wie haben Sie die Begegnung mit Tod und Sterben selbst erlebt?

Düver: Ich bin sehr dankbar, dass mir Gott die Begabung geschenkt hat, Menschen in Trauer zu begleiten oder ihnen auf dem Weg in den eigenen Tod beizustehen. Ich habe oft gespürt, dass jene Worte, die von mir in die jeweilige Situation hineingesagt werden mussten, nicht aus mir erwachsen sind, sondern Geschenk waren. Und ich habe -staunend- wahrgenommen, wie oft sie im jeweiligen Gegenüber wirkmächtig wurden.

Dem Tod im eigenen Leben unmittelbar und direkt zu begegnen, sei es beim Sterben der Eltern, sei es bei Fehlgeburten in der eigenen Ehe, sei es selbst fünf vor zwölf auf der Rettungsstation eines Klinikums hat mir deutlich gemacht, wie hilflos der Helfer ohne Hilfe von außen ist. Und es hat mir gezeigt, wie wohltuend es ist, in anderen Menschen Gottes Boten zu begegnen, die Gutes und Segen nicht allein verkünden, sondern auch bringen. Mich haben solche existenziellen Erfahrungen demütig werden lassen.

Wie hat dieses Buch Sie als Autor verändert?

Düver: Schreiben heißt für mich immer auch: Bewusstsein sichtbar machen. Bewusstsein mit - teilen. Mit Geschriebenem an die Öffentlichkeit zu gehen, heißt: sich Kritik aussetzen; sich angreifbar machen, weil man sich nicht mehr verstecken will und kann hinter Schweigen. 

Schreiben heißt aber auch: Sich selber entdecken oder gar neu zu begegnen. Wenn ich heute aus einer Distanz von acht Jahren die Gedichte lese, die beispielsweise im Trauerprozess um meine Eltern gewachsen sind, dann stelle ich doch eine rasante Entwicklung fest. Anfangs ist meine Trauer unmittelbar, aufs Engste verhaftet mit den mir lieben Menschen. Ich nehme meine Wut und Verzweiflung wahr – und bin heilfroh, dass ich sie mir damals nicht aus falschem Glaubensgehorsam versagt habe. Denn in dieser Freiheit durfte ich gesunden. 

Ich konnte damals wie heute dem Tod eine lange Nase machen – und weiß zugleich, wie schmerzhaft und erschütternd jede Begegnung mit ihm ist. Aber das letzte Wort hat er nicht; nicht über den, der sich in Jesus Christus geborgen weiß.

Haben Sie Rituale, um sich an die Sterbenden zu erinnern?

Düver: Beruflich bin ich naturgemäß oft auf Friedhöfen unterwegs gewesen. Privat bin ich das nicht. Das Grab meiner Eltern ist kein Pilgerort für mich und ebenso wenig ein Andachtsort. Das versteht nicht jeder. Trotzdem vergeht auch heute kaum eine Woche, in der ich nicht dankbar an meine Eltern denke: innig, liebevoll, lächelnd. Ich kann und darf das heute, weil ich mir in deren Sterbezeit nicht verboten habe, mich an ihrem Tod auf alle nur erdenkliche Weise abzuarbeiten. Auch das hat damals nicht jeder verstanden. Und noch heute erschrecken Bilder, Gedanken, Ausdrücke in meinen Gedichten nicht wenige Leser und Hörer. Aber so wie mir dieses Erschrecken – und Wüten heilsam war, kann es das auch für jene sein, die mein Büchlein in die Hand nehmen und während der Lektüre ihre eigenen Wege und Worte finden, weil sie mit Hiob selbst mit tränenvollen Augen lachend seufzen können: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ So gesehen hat mich nicht das Buch verändert. Vielmehr zeigt es auf, wo und wie ich mich verändert habe.

Wolfhard Düver: „einsachtzig unter oben. Gedichte vom Sterben und Leben"

Manuela Kinzel Verlag Dessau | Göppingen

ISBN 978-3-95544-090-9

113 Seiten, Taschenbuch, 11 Euro

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