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Gottesdienst 3.0

Online-Gottesdienste: Gemeinschaftserlebnis trotz räumlicher Distanz?

Medienhaus FFMVortragBewegende Gottesdienste online feiern. Wie das geht, erzählt Rasmus Bertram auf dem Kirchentag

„Bitte jetzt das Handy einschalten“ ist das Motto neuer, interaktiver Gottesdienstformen. Hier werden Menschen angesprochen, die sich in Chatrooms und Videostreams eher zuhause fühlen als in ihrer Dorf- oder Stadtkirche. Auf dem Kirchentag in Stuttgart diskutieren ihre Initiatoren mit Vertretern aus Kirchengemeinden.

Die Mehrheit der Bevölkerung nutzt heutzutage Video-Streams, Internetradio oder Soziale Medien wie Facebook und Twitter. Aber nicht im Gottesdienst. Da heißt es: „Bitte die Handys ausschalten“. Der Grund: Handys stören die besinnliche Ruhe, die Konzentration, die Funkmikrofone und damit die Andacht der anwesenden Gemeinde.

Problemanzeige: Geringer Gottesdienstbesuch

Allerdings gehen als 96% der Gläubigen nicht jeden Sonntag in die Kirche. Dafür gibt es viele Gründe und nicht alle haben mit der Qualität der Gottesdienste zu tun. Alte und kranke Menschen waren deshalb die Zielgruppe der „Online-Andacht“, die Bernd Gratzer aus Wien entwickelt hat. Eine Videoübertragung aus dem Gottesdienstraum lässt zu, dass Menschen auch im Bett oder auf dem Sofa teilnehmen können. Wer möchte, kann auf der Twitterwall kommentieren und seine Gedanken und Gebete in einem Online-Gebetbuch äußern. Die Kollekte kann bequem per Paypal-Überweisung abgeschickt werden.

Der Frankfurter „Sublan“-Gottesdienst

Weiter als das Wiener Konzept will Pfarrer Rasmus Bertram aus Frankfurt gehen. Mit seinem Team entwickelt Bertram zurzeit eine Handy-App namens „Sublan.tv“. Schon seit 2010 feiert er mit Jugendlichen Online-Gottesdienste. Die neu entwickelte Plattform soll es aber auch klassischen Kirchengemeinden ermöglichen, von Zeit zu Zeit „Sublan“-Gottesdienste zu feiern. „Die technische Grundlage ist, dass die Kirche einen guten Internetanschluss hat. Die Teilnehmer brauchen dann nur die App und können schon teilnehmen.“

Interaktiv mit Fragen und Impulsen der Gottesdienstteilnehmenden

Wie im Wiener Modell nehmen Kameras dazu den Gottesdienst auf. In Frankfurt sieht der Gottesdienstraum so aus: Es gibt einen Altar, eine Gebetswand und eine Kanzel in Tischform, an dem meist mehr als ein Prediger steht. Das Besondere: Es gibt keine klassische, ausformulierte Predigt, die Prediger bereiten sich zuhause nur allgemein auf ein festgelegtes Thema vor. Hier sind es die Teilnehmer mit ihrem Smartphone zu Hause oder im Gottesdienstraum, die über Twitter, persönliche Nachrichten und im Chat ihre Meinung zum Gottesdienst und zu der „Predigt“ äußern und damit deren Richtung vorgeben. Die Prediger reagieren oft direkt auf Erfahrungen, die die „Gemeinde“ teilt. Videos, Bildergalerien, Musikstücke: all das kann während der Predigt aufgerufen und mit den Gottesdienstteilnehmern geteilt werden. Rasmus Bertram schwärmt von dieser Gottesdienstform: „Es ist ein interaktiver Gottesdienst, wo jeder sich einbringen kann. Ein Gottesdienst, wo jeder seine Erfahrungen, Erlebnisse und Fragen teilen kann. Und natürlich auch seine persönlichen Antworten auf diese Fragen.“

Eines sei aber ganz wichtig: „Dass sich die Pfarrer und Pfarrerinnen mehr zurücknehmen, um Platz für andere zu machen. Und das ist wahrscheinlich auch das Schwerste.“

Mit Smartphone und Skyp zwischenmenschliche Beziehungen pflegen

Verfechter des klassischen Gottesdienstes führen auch gegen Fernsehgottesdienste ins Feld, dass ein „richtiger Gottesdienst“ die körperliche Anwesenheit aller Teilnehmer erfordere. Anne Kampf ist theologische Redakteurin der Website „evangelisch.de“. Sie hat ihre Masterarbeit über Online-Gottesdienste geschrieben. Kampf sagt: „Man kann auch gemeinsam Gottesdienst feiern, wenn man nicht am selben Ort ist.“ Was die Fernsehgottesdienste vorgemacht haben, können die interaktiven Gottesdienste im Internet aufnehmen und weiterentwickeln. Kampf begründet das mit dem Augsburgischen Bekenntnis aus der Reformationszeit. Dort steht, dass „Kirche“ ein Vorgang von Kommunikation zwischen den Gläubigen und Gott ist.
In der heutigen Zeit kommunizieren die meisten Menschen, auch Eltern mit ihren Kindern, beispielsweise über Whatsapp und Skype. Räumliche Nähe spiele eine immer geringere Rolle im beruflichen und privaten Leben. Nehme man diese Kommunikationsmuster ernst und gestehe auch ihnen zu, „Gemeinschaft“ zu bilden, dann seien auch Gemeindeformen und Gottesdienste zwingend, die in räumlicher Distanz möglich sind. Kommunikation via Chat, Video, Bilder.

Einziges Problem: Die Sakramente

Gottesdienst und Predigt stellen demnach kein Problem dar. Anne Kampf klammert dabei bewusst aber die Sakramente Abendmahl und Taufe aus. Sie findet die Vorstellung merkwürdig, dass eine Pfarrerin Brot und Wein in die Kamera hält und jeder Teilnehmer zuhause selbst vorbereitetes Brot und Wein trinken würde. Zwischen diesen beiden Szenen gebe es einen Bruch in der Kommunikation. Die Anglikanische Kirche wagt den Versuch von „Second Life“-Gottesdiensten. Andere Gemeinden versammeln sich im Computerspiel „Minecraft“ mit ihren digitalen Abbildern. Wenn diese sogenannten „Avatare“ jedoch Brot und Wein zu sich nähmen, sei das laut Kampf aber noch kein Abendmahl im eigentlichen Sinne. Auch technische Probleme gebe es. Nicht an allen Orten sei schnelles Internet verfügbar. So komme es häufig zu Verzögerungen im Ablauf und zu Frust bei den Gottesdienstteilnehmern.

Gottesdienst und Gottesdienst 3.0 sind keine Konkurrenz

An anderen Orten seien die technischen Voraussetzungen jedoch schon erfüllt. Hier könne eine Gemeinde einen interaktiven Online-Gottesdienst versuchen. Das bedeute keinesfalls das Ende des klassischen Gottesdienstes. Aber die Einsicht, dass Gottesdienst auch von der Gemeinde getragen und mitgestaltet werden soll.

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