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Scientology vermittelt irreführende Informationen zu Psychiatrie

Linda HenrichZelt der „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ auf der Frankfurter Hauptwache

„Psychiatrie: Tod statt Hilfe“ – mit solchen Aufschriften macht auf der Frankfurter Hauptwache ein Zelt der KVPM auf sich aufmerksam. Wer steckt dahinter?

„Öffentliche Warnung vor der Psychiatrie“, „Psychiatrie = organisierte Kriminalität“ und „Im Einsatz für die Menschenrechte“ steht auf Plakaten an einem großen Zelt mitten auf der Hauptwache direkt vor der Katharinenkirche in Frankfurt. Dieses Zelt gehört zu der sogenannten „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ (KVPM) und steht hier für eine Woche im Juni und an weiteren Terminen im Sommer. Der Referent für Weltanschauungsfragen im Zentrum Ökumene der EKHN und EKKW, Oliver Koch, erklärt: Hierbei handele es sich um eine „Tarn- und Unterorganisation von Scientology“.

In der gemeinsamen Erklärung mit dem Bistum Limburg heißt es: „Die Organisation hat wiederholt versucht, in Frankfurt über Schulen und Freizeiteinrichtungen Kinder und Jugendliche zu erreichen.“ In der Ausstellung gebe es Materialien, die Pseudo-Informationen zu Antidepressiva, Neuroleptika oder Psychopharmaka enthalten. Erst im Kleingedruckten auf den Flyern werde klar, dass es sich um eine Organisation von Scientology handelt.

Irritierender Eindruck bei Besuchern

Laut der Stadt Frankfurt gehen seitdem beim Gesundheitsamt zahlreiche Briefe und Anrufe von Betroffenen und Profis ein. Gesundheitsdezernent Stefan Majer sagt: „Hier wird Meinungsfreiheit zur Hetze missbraucht. Insbesondere in Frankfurt am Main hat sich schon in den letzten 50 Jahren ein innovatives, weil sich ständig weiterentwickelndes gemeindepsychiatrisches Netzwerk etabliert“. 

Ärzte betonen: Darstellung in Ausstellung ist falsch

Die Chefärzte der vier Frankfurter Versorgungskliniken stellen klar, dass moderne psychiatrische Behandlungen keine organisierte Kriminalität seien. Christoph Fehr vom Agaplesion Markus Krankenhaus sagt: „Psychische Krankheiten zählen heute zu gut behandelbaren Erkrankungen. Die Art und Weise, wie hier das Fachgebiet der seelischen Erkrankungen und deren Behandlung in der Ausstellung: ‚Tod statt Hilfe‘ dargestellt wird, ist falsch und irreführend. Moderne psychiatrische Therapie kann Leben retten und Lebensqualität der Betroffenen erhalten.“

Andreas Reif von der Universitätsklinik Frankfurt unterstreicht: „Es ist klar belegt, dass Psychiatrie eine therapeutische Disziplin ist, die unzähligen Menschen aus Krankheit und Notlagen hilft. Die Behauptungen, die in dieser sogenannten Ausstellung präsentiert werden, sind fernab aller Fakten und bestenfalls als Propaganda zu bezeichnen, die Patienten und deren Angehörigen massiv schadet.“

„Psychische Erkrankungen können ausnahmslos jeden treffen“

Auch Markus Steffens von der Klinik Hohe Mark betont: „Psychische Erkrankungen können ausnahmslos jeden treffen. Die gute Botschaft ist: sie können inzwischen gut behandelt werden. Moderne Kliniken, Tageskliniken, Ambulanzen und Praxen für Psychiatrie und Psychotherapie tragen tagtäglich dazu bei. Um das Leiden nicht unnötig zu vermehren, sollten weder die betroffenen Menschen mit psychischen Erkrankungen, noch die engagiert an der Therapie beteiligten Institutionen stigmatisiert werden.“

Hildegard Weigand-Tomiuk vom Klinikum Frankfurt Höchst ergänzt: „Die Fakten in der Behandlung psychischer Erkrankungen sprechen eine klare Sprache. Sie sind nach Muskel- und Skeletterkrankungen die zweithäufigste Ursache für Fehltage, bei denen wir einen dramatischen Anstieg sehen. Für Frühverrentungen sind sie sogar der häufigste Grund. Die ärztliche Psychotherapie hat eine lange Tradition, sie ist seit 1957 Teil der Versorgung. Psychiatrie rettet Leben und hilft, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten. Das ist nicht nur medizinisch für den Betroffenen selbst, sondern auch gesamtgesellschaftlich relevant.“

Scientology will eine scientologische Gesellschaft

„Obgleich Scientology vorgibt, eine rein religiöse Lehre zu verbreiten, führt die angestrebte Scientologisierung zwangsläufig zur Errichtung einer scientologischen Gesellschaft in einem scientologischen Staat“, heißt es in der Erklärung vom Zentrum Ökumene und Bistum Limburg.

In Deutschland habe die Organisation nach Eigenangaben zwischen 10.000 und 12.000 Mitglieder. Als realistisch werde eine Zahl von 4.000 bis 5.000 Mitgliedern geschätzt, so Koch. An die Beratungsstellen von Kirchen und Staat wenden sich immer wieder Angehörige oder Aussteiger, die von enormem psychischen Druck, finanziellen Abhängigkeiten und Problemen sowie ständiger Überwachung berichten.

Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen schreibt zu Scientology, dass das Menschenbild der Organisation nicht nur dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes widerspreche, „es ist auch mit dem Menschenbild des Christentums unvereinbar“. Während der christliche Glaube von der Liebe und Zuwendung Gottes zu dem auf diese Liebe angewiesenen Menschen spreche, „hat Scientology einen Menschen vor Augen, der sich selbst zum Gott machen will. Ihre Ideologie ist brutal, rücksichtslos, ausbeuterisch und gefährlich“. Gefährlich sei Scientology insbesondere wegen des Menschenbildes, das in jeder Seele nur eine zu optimierende Maschine sehe. Die Sekte wird seit 1997 in elf Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet.

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