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Spielend fit werden

Video-Spiele zocken im Altersheim

Jörn von LutzauGisela Schulze spielt „Motorradfahren" mit der Spielekonsole Memore Box.Gisela Schulze spielt „Motorradfahren" mit der Spielekonsole Memore Box.

Das Spielen an einer Konsole soll Seniorinnen und Senioren im Altersheim beim Fit werden helfen. Sie können zum Beispiel tanzen, kegeln oder Motorrad fahren. Wie die Spielekonsole ankommt, haben wir bei einem Besuch im nordhessischen Bad Arolsen erfahren.

Mit Schwung wirft Gisela Schulze den Brief in den richtigen Briefkasten. Ein Bildschirm, so groß wie eine Windschutzscheibe, zeigt einen Fahrradfahrer, der während der Fahrt Briefe vom Gepäckträger greift und diese dann in die Briefkästen wirft. Gisela Schulze steuert ihn nur durch ihre Bewegung. Eine Kamera erfasst was sie macht und überträgt die Bewegung auf den Avatar. Die Herausforderung für die Seniorin ist es weit genug mit dem Arm auszuholen, um den Brief zu greifen und dann entweder links oder rechts den Briefkasten zu treffen. „Manchmal landet er auch in Nachbars Garten“, lacht die 79-Jährige. Sie spielt im Wohnzimmer des Waldeckschen Diakonissenhauses Sophienheim in Bad Arolsen mit der Memore Box. Sie ist eine der Spielerinnen, die an einer wissenschaftlichen Studie teilnehmen.

Spielekonsole wurde extra für Seniorinnen und Senioren entwickelt

Die Spielekonsole wurde extra für Seniorinnen und Senioren entwickelt. „Ich beschreibe sie immer als ‚Senioren-Wii‘“, wirft Heike Weber ein. Die stellvertretende Leiterin des Sozialen Diensts im Sophienheim vergleicht die Memore Box mit der bewegungsgesteuerten Spielekonsole des Unternehmens Nintendo. Heike Weber hilft den Heim-Bewohnern die Box zu starten, motiviert zum Spielen und greift ein, wenn die Technik Mal hakt. Denn die Seniorinnen und Senioren hatten bislang keinen Kontakt mit einem Smartphone oder einem Computer.
Drei Mal pro Woche spielen fünf ausgewählte Seniorinnen und Senioren hier nach dem Frühstück an der Box. Sie nehmen an einer wissenschaftlichen Studie Teil. Diese Studie soll klären, ob die Spielkonsole die körperliche und geistige Fitness und die soziale Interaktion zwischen den Bewohnern fördert. Ab Januar 2020 spielen die Bewohnerinnen und Bewohner intensiver: Fünf Mal die Woche.

„Das Tanzen gibt mir Kraft!“

„Man trifft sich hier und plaudert. Vor allem das Tanzen gibt mir irgendwie Kraft – ich schwitze zwar, aber ich brauche das“, schnauft Elisabeth Braun glücklich. Sie hat gerade intensiv die Tanz-Bewegungen des Avatars auf dem Bildschirm imitiert. An der Konsole spielen immer ein bis zwei Personen und das Publikum fiebert mit. Bei guten Ergebnissen klatschen die Zuschauer, bei weniger Guten, kommt ein Raunen von den Plätzen auf der Couch. Ob Fortschritte, zum Beispiel im körperlichen Bereich, mit dem Spielen an der Konsole in Zusammenhang stehen, wird mit Bewohnerinnen und Bewohnern verglichen, die nicht an der Konsole spielen.

Ergebnisse werden auf Karte gespeichert

Jeder Proband hat eine eigene Spieler-Karte. Mit dieser loggen sie sich ein. Sie halten die Karte dafür vor den Bildschirm in die Luft, dann schießt die Box ein Foto und es geht los. Auf diese Weise werden alle Daten rund um das Spielen gespeichert. Also: Wie häufig gespielt wird, welche Spiele ausgewählt werden und wie viele Punkte erzielt wurden. Die Barmer Krankenkasse und die Entwickler der Memore Box, von der Firma Retro Brain aus Hamburg, hatten die Idee die Box in Pflegeeinrichtungen zu testen. Der Test wird von der Charité in Berlin, der Humboldt Universität zu Berlin und der Alice Salomon Hochschule in Berlin wissenschaftlich begleitet. Das Sophienheim bekommt jeden zweiten Monat Fragebögen, die von den zehn Probandinnen und Probanden ausgefüllt werden müssen. „Das ist ein hoher Aufwand“, sagt Heike Weber.

Die Seniorinnen und Senioren sind ehrgeizig

Franz Sels ist auch Teil der wissenschaftlichen Studie. Er hat 50 Jahre lang aktiv Tennis gespielt. Die Bewegung vor der Konsole findet er nicht anstrengend, aber es macht ihm Spaß. „Ich kann nicht nur in der Ecke rumsitzen und dösen. Ich möchte mich ein bisschen aktivieren“, betont der 85-Jährige. Briefe austragen und Kegeln sind seine Lieblings-Video-Spiele und er möchte immer besser werden. Den Impuls geben die Punkte und die Platzierung, diese sehen die Senioren nach Beendigung des jeweiligen Spiels. Und Ehrgeiz spielt definitiv eine Rolle, beobachtet Heike Weber: „Es gibt einen Anreiz, wie schaffe ich es heute? Bin ich heute besser?“.

Studie läuft ein Jahr – deutschlandweit

Für den Zeitraum der Studie übernimmt die Barmer die Mietkosten der Konsole. Die Pressestelle der Barmer sagte zu ekhn.de: „Alle Einrichtungen, die am Modell teilnehmen und danach das Angebot weiter aufrechterhalten möchten, können dies für einen monatlichen Mietbeitrag in Höhe von 200 Euro mit dem Anbieter realisieren“. In ganz Deutschland nehmen 100 Einrichtungen Teil, in Hessen sind es fünf. Die Bundesländer testen die Memore Box nicht gleichzeitig. In einigen Bundesländern wurde die Studie schon abgeschlossen, in anderen startet sie erst. In Hessen läuft die Studie noch bis Juli 2020. Der betagte, aber motivierte Rentner Franz Sels betont selbstbewusst: „Ich komme gerne ins Wohnzimmer zum Spielen, es ist ein Ausgleich, macht Spaß und ich will das auch weiter durchziehen!“

 

 

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