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Erinnerungen schaffen

Wenn das Baby vor der Geburt stirbt

„Dein Sternenkind"Erinnerungsfoto eines SternenkindesErinnerungsfoto eines Sternenkindes

Sternen-Kinder: Das sind Babys, die nur kurz leben oder noch vor ihrer Geburt versterben. Damit diese Kinder in Erinnerung bleiben, engagieren sich Sternen-Kind-Fotografinnen und Fotografen bundesweit. Sie gehen in Kliniken und machen Fotos von den toten Kindern und ihren Familien. Ein Fotograf berichtet im Interview, was er vor Ort erlebt. In der aktuellen Corona-Krise durften Fotografinnen und Fotografen anfangs nicht ohne weiteres in Kliniken kommen, wegen der strengen Hygiene-Regeln. Die Situation hat sich aber inzwischen entspannt.

Stefan RaschStefan Rasch fotografiert seit 2016 ehrenamtlich Sternenkinder.Stefan Rasch fotografiert seit 2016 ehrenamtlich Sternenkinder.

Diese Nachricht ist für werdende Eltern eine emotionale Katastrophe: Das Herzchen des erwarteten Babys schlägt plötzlich nicht mehr oder wird bald aufhören zu schlagen. Kinder, die die Geburt nur kurz oder gar nicht überleben, heißen Sternenkinder. Seit 2013 hilft die Organisation „Dein Sternenkind“ Eltern dabei, eine Erinnerung an ihr verstorbenes Kind zu bekommen. Über 600 ehrenamtliche Sternenkind-Fotografinnen und Fotografen engagieren sich für „Dein Sternenkind“ in Deutschland und Österreich. Stefan Rasch fotografiert im Raum Mainz/Wiesbaden in Kliniken und im Kinderhospiz. Er hat bei seinen Einsätzen auch schon Taufen und Aussegnungen fotografiert. Im Gespräch mit Redakteurin Charlotte Mattes erzählt der 59- jährige Ingenieur, wie er sein Ehrenamt erlebt.

Herr Rasch, wir haben vor der Corona-Krise über Ihr Engagement gesprochen, jetzt dürfen Sie, soweit ich weiß, nicht mehr in Kliniken, um Erinnerungsfotos zu machen. Wie erleben Sie diese Situation?

Stefan Rasch: Als die Corona-Krise begann, gab es tatsächlich eine Zeit, als wir nicht in die Kliniken durften. Das war bedrückend, denn ich weiß ja, wie es den Eltern der Sternenkinder in dieser Situation geht. Nicht zu ihnen zu dürfen, um ihnen eine letzte Erinnerung an ihr Kind fotografisch festhalten zu können, war wirklich schlimm. Zum Glück ist es aber heute für uns in den meisten Kliniken wieder möglich, unter Einhaltung der bestehenden Hygiene- und Abstandsregeln zu fotografieren.

Sie üben das Ehrenamt jetzt seit vier Jahren aus: Wenn Sie zurück denken: Wie war der erste Einsatz, bei dem Sie ein totes Kind fotografiert haben?

Stefan Rasch: Mein erster Einsatz war einer, wo es am Ende einer ganz normal verlaufenden Schwangerschaft zu einem Drama gekommen war. Das Mädchen hat die Geburt nicht überlebt. Der „Schreck“ hat sich für mich in Grenzen gehalten, weil die Kleine ausgesehen hat, als würde sie schlafen. Das hat mir beim ersten Einsatz geholfen. Natürlich war die Traurigkeit der Eltern furchtbar schlimm. Im Lauf der Zeit kamen aber natürlich auch weniger angenehme Einsätze dazu, die nicht so leicht wegzustecken sind.

Warum haben Sie trotzdem weiter fotografiert?

Stefan Rasch: Ich könnte mir einfach nicht vorstellen, damit aufzuhören. Es sind für mich die wichtigsten Bilder, die ich machen kann. Ich habe auch die volle Unterstützung meines Chefs bei der Ausübung meines Ehrenamtes. Er sagte mir, als ich ihm erzählte, was ich mache: „Kein Termin ist so wichtig, dass er nicht verschoben werden kann.“ Ohne diese Unterstützung ginge es auch gar nicht, denn die Einsatzalarme kommen zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Die Motivation immer weiter zu machen, ziehe ich sicher auch aus den Rückmeldungen der Eltern, obwohl nicht oft welche kommen. Aber einmal habe ich ein Foto zugeschickt bekommen, da haben die Eltern eines meiner Bilder bei der Beerdigung neben den Sarg gestellt, das wollten sie mir zeigen. Eine andere Familie hat mir ein Päckchen geschickt, da war ein sehr lieb geschriebener Brief, in dem sie sich für die Bilder bedankt haben, drin, dazu ein selbst-gebackener Kuchen und eine Flasche Rotwein. 

Wie schaffen Sie es, in diesen durchaus emotional belastenden Situationen die nötige Distanz zu wahren?

Stefan Rasch: Das ist vielleicht so eine ähnliche Situation, wie wenn ein Notarzt, auf die Autobahn gerufen wird, weil ein Unfall passiert ist. Der braucht ja auch Distanz, um richtig handeln zu können. Das ist für mich vor Ort ganz wichtig. Wenn ich in diese intime Situation als völlig Fremder reinkomme und mich von der unendlichen Hilflosigkeit und Traurigkeit anstecken lassen würde, wäre das nicht gut. Ich bin aber auch manchmal froh, wenn ich mich an meiner Kamera festhalten kann. So kann ich mich darauf konzentrieren, wofür ich da bin. Wenn ich mir dann aber hinterher die Fotos zu Hause anschaue und bearbeite, geht das aber nicht spurlos an mir vorbei, da kommen die Emotionen schon mal hoch. 

Was war denn so ein Einsatz, der Spuren bei Ihnen hinterlassen hat?

Stefan Rasch: Gerade erst, vor den Corona-Einschränkungen, war ich bei einem solchen Einsatz. Da ist das Mädchen einer pakistanischen Familie verstorben. Als ich in die Klinik gekommen bin, haben die Eltern dem Mädchen ein schönes Kleid angezogen und fein-bestickte goldene Schuhe. Und sie haben die ganz Zeit mit ihr gesprochen und die Mama hat angefangen, ein Lied zu singen. Das sind Situationen, in denen ich schon mal schlucken muss.

Diese Frage klingt vielleicht seltsam, aber gibt es trotz der großen Traurigkeit auch schöne Momente bei Ihren Einsätzen?

Stefan Rasch: Ja, die gibt es tatsächlich. Einmal kam ein Papa mit seiner verstorbenen Tochter auf dem Arm ins Zimmer, in dem schon der Rest der Familie wartete. Eigentlich fragen Eltern immer, was sie denn jetzt machen sollen für die Fotos. Diesmal war es ganz anders. Ich hatte das Gefühl, dass die Familie mich überhaupt nicht bemerkte. Das Erste was der Papa gemacht hat, war, sich mit der Kleinen auf den Boden zu setzen. Dann kamen die kleinen Geschwister, und haben gefragt, was mit ihr ist und ob sie schläft. Der Papa hat ihnen dann mit einfachen Worten erklärt, warum die Kleine nicht mit ihnen nach Hause gehen könnte. Die „große“, vielleicht fünf Jahre alte Schwester, hatte ein Bild gemalt, das sie zusammen mit dem Papa mit einer Schleife an dem toten Mädchen befestigte. Dann haben sich alle, Papa, Mama, die Großeltern und die beiden Geschwister zusammen auf ein Bett gesetzt, weil sie gerne ein Bild mit Allen haben wollten. Das war so eine intime und trotz des furchtbar traurigen Anlasses auch eine sehr „schöne“ Atmosphäre, wie sich die ganze Familie von dem Mädchen verabschiedet hat - das sind Situationen, die bleiben hängen. Was vielleicht noch als Ergänzung ganz interessant ist: Väter gehen oft anders mit der Situation um als Mütter. Die Väter sitzen da und weinen nur, bekommen keinen Ton raus. Woran das liegt, weiß ich nicht. 

Wie hat denn Ihr Umfeld damals reagiert, als sie erzählt haben, jetzt als ehrenamtlicher Sternenkind-Fotograf arbeiten zu wollen?

Stefan Rasch: Sie haben schon gefragt: „Warum willst du denn jetzt tote Kinder fotografieren?“ Das kam manchen gruselig vor, weil sie wissen, was ich ja sonst nebenberuflich fotografiere. Also Veranstaltungen wie: Hochzeiten oder Taufen, also lauter schöne und fröhliche Anlässe. Ich wurde sogar einmal von einer Sternenkind-Mama gefragt, warum ich das mache. Ich sage dann: Ich fotografiere keine toten Kinder. Ich versuche mit meiner Arbeit, der Familie eine bleibende Erinnerung an ein Familienmitglied zu schaffen, das sie leider nicht auf ihrem Weg durchs Leben begleiten kann. Ich denke, das trifft es besser. Oft höre ich dann „Oh Mann, ich könnte das nicht“ – aber ich wusste selber nicht, ob ich es kann, bevor ich damit angefangen habe, und heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, es nicht zu tun. 

Daran merken wir: Das Thema Totgeburt ist ein Tabu-Thema. Es wird eher wenig darüber gesprochen…

Stefan Rasch: Dass es ein Tabu-Thema ist, macht keinen Sinn. Jeder findet es toll, wenn ein „normales Baby“ geboren wird. Da kann man es gar nicht abwarten, die Bilder zu zeigen. Und die Babys, die ich fotografiere, sind ja auch Babys. Aber ihnen war es leider nicht vergönnt, da zu bleiben. Aber sie verdienen es genauso, dass man sich an sie erinnert. Vielleicht in einer anderen Form, weil die Fotos nicht ganz so hübsch sind, wie die mit dem properen Baby im Strampelanzug. Aber es sind ja trotzdem Kinder und Familienangehörige und keine Sachen!

 

Trauerseelsorge hilft bei Verarbeitung
Tabitha Oehler ist zertifizierte Trauerbegleiterin, sie sagt: „Es hilft auf jeden Fall Fotos von seinem Sternenkind zu haben, denn Eltern haben ja sonst nicht viel.“ Die Bilder zeigten, dass das Kind ein Gesicht, Hände und Füße hatte, so würde es reell. „Wir fotografieren Schwellen, wie die Konfirmation, Taufe, Hochzeit und der Tod gehört auch dazu“, betont die Gemeindepädagogin. Für Eltern sei die Erinnerung wichtig, erklärt die 63-Jährige.
Denn sie wüssten so: „Ich habe eine Kind – ob lebendig oder tot, es ist ein Teil unserer Familie!“ Auch wenn die Fotos an den Verlust erinnerten seien sie wichtig, denn ein solches Foto könne auch tröstend wirken. Die Trauerseelsorgerin wurde als Kind selbst mit dem Tod konfrontiert. Einer ihrer Brüder ist vor ihrer Geburt als Baby gestorben. Die Dias des Bruders im Sarg seien für sie selbstverständlich gewesen.
Abschließend sagt Tabitha Oehler: „Trauer ist: Die Verbindung zu Verstorbenen zu erhalten oder eine neue Beziehung aufzubauen.“ Dies ginge zum Beispiel indem Traditionen weiter gepflegt oder über Anekdoten, die über den Verstorbenen erzählt würden. Die Trauerbegleiterin führt aus: „Bilder helfen, mich zu erinnern – Gegenstände lassen mich etwas anfassen, um einen Teil noch greifbar zu haben.“

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