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Interview

Nelson Mandela lobte Bildungs-Gerechtigkeit der Kirchen

Dekanat Vorderer OdenwaldNelson Mandela bewegte sich zu den Rhythmen der Lieder, die die jungen Mitglieder der Moravian Church anstimmten. Dorothea Schmidt (rechts) gehörte zur Delegation aus der EKHN, die Südafrika 1997 besuchte

Bei ihrem Südafrika-Besuch lernte Dorothea Schmidt aus Reichelsheim Nelson Mandela persönlich kennen.

Nelson Mandela ist die wichtigste Leitfigur, die die Rassentrennung in Südafrika beendete. Rund um die Welt trauern Menschen üm Nelson Mandela, der am 5. Dezember 2013 in Johannesburg gestorben ist. Eine dieser Menschen ist die 73-jährige Dorothea Schmidt; sie ist Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde in Reichelsheim und aktiv im Ökumeneausschuss des Dekanates Vorderer Odenwald. Die kraftvoll wirkende Frau, die noch immer in einem Lohnsteuerhilfeverein arbeitet, gehörte zu der Delegation, die die südafrikanische Partnerkirche der EKHN, die Moravian Church in South Africa (MCSA) besucht hat.

Vom 14. September bis zum 7. Oktober 1997 war die dreiköpfige Gruppe unterwegs; neben Dorothea Schmidt gehörten außerdem der damalige Reinheimer Dekan Dieter Hammerschmidt  und ein Vertreter der Jugendarbeit zu der Delegation. Die Gruppe besuchte Missionsstationen, Kirchengruppen und erkundete die einzigartige Landschaft – und plötzlich kommt es zu einem unerwarteten Treffen mit Präsident Mandela.
Im Gespräch mit Rita Deschner von der Multimedia-Redaktion der EKHN erzählt Dorothea Schmidt von der unvergesslichen Begegnung.

Wie kam es dazu, dass Sie während des Besuches bei Mitgliedern der südafrikanischen Partnerkirche Nelson Mandela getroffen haben?

Virginia Engel ist die Frau einer der südafrikanischen Pfarrer unserer südafrikanischen Partnerkirche und sie war die Privatsekretärin von Nelson Mandela. Ganz unerwartet sagte sie eines Tages: `Morgen geht es zu Mr. President.´ Ich dachte erst, sie meint damit das Oberhaupt der Moravian Church. Aber sie dachte tatsächlich an Nelson Mandela! Sie hatte den Besuch bei ihm arrangiert. Mit einer Gruppe junger Menschen aus der Moravian Church, die aus dem östlichen Teil Südafrikas kamen, haben wir ihn besucht. Aus der Heimatregion dieser Jugendlichen stammt übrigens auch Mandela.

Was hat er gesagt?

Ich erinnere mich vor allem daran, dass er seine Dankbarkeit gegenüber den Kirchen ausgedrückt hat. Er schätze die Kirchen, weil sie für die Ausbildung der schwarzen Jugend gesorgt haben und auch er habe davon profitiert. Die Kirchen hätten wenige Unterschiede zwischen Weißen und Schwarzen gemacht und auch die schwarzen Kinder und Jugendlichen gefördert. (Anmerkung der Redaktion: Mandela besuchte die methodistische Missionsschule.)

Wie hat er auf Sie persönlich gewirkt?

Bezeichnend waren zwei Szenen für mich. Als wir uns bei ihm bedankt hatten, da er uns eine halbe Stunde seiner wertvollen Zeit geschenkt hatte, sagte er ganz charmant: Seine Sekretärin habe den Termin vereinbart, da müsse er ihr gehorchen. Obwohl er mit den Dingen der großen Politik beschäftigt war, schien er sich ein inneres Schmunzeln bewahrt zu haben. Die zweite bemerkenswerte Szene ereignete sich auf der Außentreppe: Hier stellten wir uns zum Fototermin mitsamt der Jugendgruppe der Moravian Church auf. Dann fingen die jungen Leute an zu singen – und wissen Sie was Mandela tat? Er fing an, sich im Rhythmus mitzubewegen – er schien in dem Moment so jung, beschwingt und erfreut. Frühere Leiden schienen wie weggeblasen.

Wie war damals die Stimmung in Südafrika?

1997 waren die Menschen euphorisch, endlich durfte sich jeder frei bewegen. Stolz führten uns unsere Partner überall hin, an die schönen Strände und durch Bahnhofsportale, wo sie sich  früher nicht aufhalten durften. An vielen Stellen wehten Fahnen und selbst in der Kleidung wurden die Nationalfarben modisch umgesetzt. Mandela war die Peson, die man verehrte, denn für die schwarze Bevölkerung war er „ihr Befreier“.

Welchen Eindruck haben Sie heute von Südafrika?

Mein Eindruck ist, dass die anfängliche Euphorie durch die Realität des Marktes aufgefressen wurde. Während früher der Gegensatz von schwarz und weiß das Leben der Menschen bestimmte, geht es heute um arm und reich. So gibt es auch arme Weiße und reiche Schwarze. Auf dem Papier sind die Menschen gleichberechtigt, aber es ziehen sich trotzdem soziale Trennlinien durch die Gesellschaft. Durch den Gegensatz zwischen reich und arm ist zunächst die Kriminalitätsrate gewachsen. Eine weitere große Herausforderung ist, die Ausbreitung von AIDS einzudämmen. 

In welcher Situation sind die Mitglieder der südafrikanischen Partnerkirche der EKHN?

Viele der Kirchenmitglieder sind weder schwarz noch weiß, sondern sie sind Farbige. So sind einige Nachkommen aus Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen. Damit stehen sie vor einer besonderen Herausforderung: Sie haben den Eindruck, dass sie früher nicht weiß genug waren und heute nicht schwarz genug sind. Sicher genießen sie die Freiheit, da die Reglementierungen aus Zeiten der Apartheid aufgehoben sind – sie können sich jetzt auf jede Bank setzten. Heute kämpfen die Mitglieder um Fairness auf unterschiedlichen Ebenen – auch zwischen Männern und Frauen. Wie wir auch.

Ausschnitt  aus der Rede Nelson Mandelas,  die er im Dezember 1998 auf der VIII. Vollversammlung des ÖRK in Harare gehalten hat:

„Meine Generation ist das Produkt kirchlicher Erziehung… Ohne die Missionare und andere religiöse Einrichtungen wäre ich heute nicht hier. Die damalige Regierung war an der Bildung von Afrikanern, Mischlingen und Indern nicht interessiert. Es waren die Kirchen, die Land kauften, Schulen bauten, für deren Ausstattung sorgten und Personal einstellten. Wenn ich also sage, dass wir das Produkt der missionarischen Erziehung sind, dann möchte ich damit zum Ausdruck bringen, dass ich den Missionaren gar nicht genug danken kann für das, was sie getan haben. Aber man muss in einem südafrikanischen Apartheid-Gefängnis gesessen haben, um die größere Bedeutung zu verstehen, die der Kirche in dieser Situation zugekommen ist“.

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