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Interview mit dem Kirchenpräsidenten

Zu Mandela: Vergebung macht Unmögliches möglich

ruvanboshoff/istockphoto.comNelson Mandela nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis bei einer Pressekonferenz in Orlando, Johannesburg.

Die Welt ist mit dem Tod Nelson Mandelas ärmer geworden. Doch seine Ideen leben weiter. Er hat gezeigt, dass selbst 27 Jahre im Gefängnis seinem Willen zur Versöhnung nichts anhaben konnten.

EKHNDr. Volker Jung, Kirchenpräsident der EKHN

Welche Impulse sein Leben für unsere Zukunft hinterlassen hat und wie intensiv die Beziehungen der EKHN zur Anti-Apartheidsbewegung in Südafrika waren, darüber spricht EKHN-Kirchenpräsident Dr. Volker Jung.

Was schätzen Sie an Nelson Mandela?

Volker Jung: Nelson Mandela gehört für mich zu den eindrücklichsten Persönlichkeiten dieses und des vergangenen Jahrhunderts. Es ist sein Mut, sein unverbrüchlicher Glauben an die Sache – den Kampf gegen die Apartheid – und sein Wille zur Versöhnung, die ihn unvergleichbar machen. Trotz 27 Jahren Haft und familiären Schicksalsschlägen kämpfte er für die Gleichberechtigung der Farbigen. Schließlich wurde er der erste dunkelhäutige Präsident Südafrikas. Was für ein bewegtes Leben und welch große Lebensleistung!

Welches gedankliche Erbe hat Mandela uns als Impuls für eine friedliche Zukunft hinterlassen?

Volker Jung: Da ist zunächst sein Kampf zur Überwindung des Apartheidregimes zu nennen und in der Folge vor allem sein Einsatz für die Versöhnung. Man muss auch sagen: Mandela hat sich während seiner Auseinandersetzung mit der Apartheid spürbar von den Kirchen entfernt, da sie die Politik der Rassentrennung teilweise duldeten. Seine spätere Politik der Versöhnung nimmt jedoch zweifellos zentrale Elemente der christlichen Botschaft auf. Schon die erste Ansprache nach seiner Freilassung aus 27 Jahren Haft auf Robben Island im Jahre 1990 stand unter der Losung „To forgive and to forget“ – Vergeben, um zu vergessen. Beeindruckend an Mandela ist, dass er trotz der vielen Jahre im Gefängnis und der Entbehrungen nicht an Rache dachte. Für ihn stand Versöhnung an erster Stelle. Er hat durch sein Beispiel gezeigt, dass es durch Vergebung möglich ist, politisch große Wirkung zu entfalten. Er hat Südafrikas Bevölkerung geeint. Das ist für mich sein größtes Erbe.  

Wie haben Menschen aus der EKHN den Kampf gegen die Apartheid mitunterstützt?

Volker Jung: Mit Arnoldshain im Taunus haben wir einen historischen Ort, an dem der Ökumenische Rat der Kirchen im August 1970 das „Programm zur Bekämpfung des Rassismus“ auf den Weg brachte. Das war der Startschuss dafür, dass sich Christinnen und Christen in aller Welt für das Thema Apartheid interessierten. Mit einem Synodenbeschluss hat die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau dieses Programm neben der Reformierten Kirche in Nordwestdeutschland als einzige evangelische Kirche in Deutschland unterstützt. Vor allem im Rahmen der Aktion „Kauft keine Früchte der Apartheid“ haben sich seit 1978 viele Frauengruppen und Kirchengemeinden aus unserer Kirche an Boykottaktionen gegen das weiße Südafrika beteiligt. Die Zentrale war dabei in Frankfurt. Dort koordinierten Frauen wie Marie-Luise Stöhr oder Ursula Trautwein die Aktionen. Übrigens hat ihr Mann, der frühere Propst von Frankfurt, Dieter Trautwein, sich immer wieder öffentlich gegen die Rassentrennung einsetzt. Das sorgte beim Kirchentag 1987 in Frankfurt für einen Eklat: Er forderte den Kirchentag mit anderen öffentlich dazu auf, sein Konto bei der Deutschen Bank zu kündigen, die damals mit dem Apartheidregime Geschäfte machte. 

Nach seiner Freilassung hat Mandela eine versöhnliche Haltung gegenüber den Weißen eingenommen und aufgebrachte, schwarze Menschenmassen beruhigt. Er sagt, dass nur ein Mensch ohne Hass frei sein könne. Was bedeutet für Sie persönlich eine solche Aussage?

Volker Jung: In dieser Überzeugung steckt eine tiefe Wahrheit. Hass führt oft zu Gewalt und Gewalt bedeutet Tod und Zerstörungen – das Gegenteil von Freiheit. Nelson Mandela hat diese Überzeugung gelebt. Wer das schafft, muss einen tiefen Halt in sich selbst und bei Gott haben. Nelson Mandela hat uns Christen gezeigt, dass Vergebung möglich ist. Wir reden häufig davon, aber oftmals fällt es uns aber sogar schwer, Menschen zu vergeben, obwohl sie uns vielleicht nur ein wenig gekränkt haben. 

In welchen Bereichen ist Engagement für Gleichberechtigung heute notwendig?

Volker Jung: Ich war im Mai 2013 in Indien. Dort habe ich sehen können, wie auch heute noch Menschen wegen ihrer Herkunft diskriminiert werden. Die Kastenlosen, die Dalits, werden dort nach wie vor weitgehend ausgeschlossen und unterdrückt. Ihr Kampf um Gleichberechtigung ist in manchem durchaus vergleichbar mit dem Kampf gegen die Apartheid in Südafrika. Aber wir müssen gar nicht so weit schauen. Auch bei uns geht es in vielen Bereichen nicht gerecht zu. Für manche Kinder und Jugendliche ist es noch immer schwer, eine faire Chance in unserem Bildungssystem zu bekommen. Noch immer bekommen Frauen in den meisten Berufen auch in Deutschland weniger Lohn als Männer. Menschen mit Migrationshintergrund müssen oft auch bei uns um gesellschaftliche Teilhabe kämpfen. Und wir führen in der evangelischen Kirche gerade eine spannende Debatte darum, wie wir Frauen und Männern mit anderen als den traditionellen Lebensentwürfen begegnen können. Dabei denke ich zum Beispiel an die Segnungen von eingetragenen Lebenspartnerschaften, die in vielen evangelischen Kirchen noch immer nicht möglich sind. Auch bei uns gibt es eine Menge in Sachen Gleichberechtigung zu tun.

Die Fragen stellte Rita Deschner

Nelson Mandelas Wirken als erster von der gesamten Bevölkerung Südafrikas gewählter Präsident lebte von vielen Symbolhandlungen. So besuchte er zum Beispiel in einer seiner ersten Amtshandlungen die ehemalige Herrenhuter Missionsstation Gnadendal, ungefähr 100 Kilometer östlich von Kapstadt gelegen. Hier war 1838 von Herrenhuter Missionaren die erste Ausbildungsstätte für schwarze Lehrer im Südlichen Afrika gegründet worden. Mandela würdigte diese frühe Bildungsinitiative weißer Missionare zugunsten der schwarzen Bevölkerung damit, dass er seinem Kapstädter Präsidentensitz den Namen Gnadendal gab.

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